Redaktion des Artikels: Karola Marsch
Ein Rückblick
Zum Auftakt von WILDWECHSEL 2023 in Zwickau veranstaltete der AK OST in Zusammenarbeit mit der ASSITEJ e.V. am 13. September einen Fachaustausch zwischen Kolleg*innen, Jugendlichen und den zwei Referent*innen Dr. Simon Teune, Soziologe an der FU Berlin, und Elisa Ueberschär, Performerin und Aktionskünstlerin. Ausgehend von unserem Festivalthema „Bewegte Zeiten“ interessierte uns die Auseinandersetzung mit dem Zustand der anhaltenden und sich immer wieder neu auftürmenden Krisen unserer Zeit.
Mit der Wahl des Titels „Die Krise kann mich mal!“ und ihrem schnoddrigen Ton wollten wir der Erschütterungskraft der durch unsere Zeit rollenden Krisen eine Absage erteilen. Und dann wurde das Festival selbst von einer erschütternden Krisensituation eingeholt, die eine Komplexität von Vorgängen in sich bündelt und zu hochgradig bitteren Konsequenzen führte: Genau zwei Wochen vor Festivalbeginn musste eine ausgesprochene Förderzusage aus dem Büro des Ostbeauftragten von dort aufgrund von Verfahrensfehlern in der Bearbeitung des Antrages zurückgezogen werden. Als größte Position einer Einzelfördersumme wurde ein Loch aufgerissen, das unheilbare Folgen für die Programmgestaltung nach sich zog, zur Absage einer Produktion und zweier Kunstprojekte für das Format der Künstlerischen Agora und zu einer erheblichen Programmumgestaltung in kürzester Zeit führte. Besonders bitter war, dass ausgerechnet die Produktion nicht mehr unter den neuen Bedingungen umgesetzt werden konnte, die im Vorfeld in den rechten Netzwerken der Zwickauer Szene Hetzparolen und Anfeindungen ausgesetzt war: die Produktion LECKEN von CHICKS* freies performancekollektiv. Für alle abgesagten und kurzfristig umgeplanten Formate, für das Festival und das austragende Theater Plauen-Zwickau war dies eine Kollapssituation ohne Beispiel. Hatten wir uns für die ASSITEJ-Werkstatt also konzeptionell die theoretische Beschäftigung mit Krisen ins Haus geholt, hielt uns eine jetzt fest in ihrer Zange. Ein grenzenloses Dilemma, in dem wir nur selten in einer solchen Komplexität selbst stecken, sie inzwischen leider alltäglich im Weltgeschehen mitatmen. Die Risse, die diese Situation hervorgebracht hat, sind nicht zugewachsen, nicht verblichen, nicht zu Ende diskutiert und nicht zu Ende ausgehandelt. Wir stecken noch immer mittendrin: in der Krise. Und der Aufarbeitung darüber, wie es gelingen kann, die Vielschichtigkeit der Situation anzuerkennen, in der einfache Antworten und Entscheidungen nicht zu haben sind; ebenso geht es darum zu diskutieren, welcher Bedingungen es bedarf, solche Krisen in ihrer Vielschichtigkeit nicht wiederholbar zu machen.
Zurück zur ASSITEJ-Werkstatt: In unserer Konzeption ging es uns darum, theoretisch auf das Phänomen Krise zu schauen, indem wir mit dem Protestforscher Dr. Simon Teune Ursachen und Ausprägungen von aktuellen Protestbewegungen und damit einhergehende Aktions- und Kommunikationsstrategien reflektieren. Und es ging uns darum, uns nicht dem Abgrund zu ergeben, an den uns Krisen führen können, sondern in den Aktivmodus zu schalten und Impulse zu suchen, mit denen wir in Krisen einen künstlerischen Umgang mit unserem Publikum finden können. Dafür haben wir Elisa Ueberschär eingeladen, das Tool Lecture-Performances in ersten Schritten auszuprobieren.
Kolleg*innen aus dem AK OST berichten von ihren Erfahrungen in der Werkstatt:
Der Titel „Die Krise kann mich mal“ hat mich gereizt. Ich werde dieses Thema bei einem weiteren Festival mit jungen Menschen in Thüringen aufgreifen. Es war mit dem Input des Wissenschaftlers ein leichter, fundierter Einstieg in die Themen „Gesellschaftliche Konflikte und Protestbewegungen“. Es war schön, dass wir dann schnell ins Schreiben kamen zu der Frage, welche Krisen uns zur Zeit am meisten beschäftigen und dass wir in einen Austausch über ästhetische Umsetzungen dieser Textansätze kamen. Ein Beispiel aus der eigenen Praxis von Elisa Ueberschär hat uns schnell in einen Kontext verbracht und angeregt über Ansatz, Vorhaben, Form und Publikum zu diskutieren.
Wie immer war die Werkstatt zu kurz, es fehlte die Zeit für eine Weiterführung. Es endete in einer losen Ideensammlung. Als Fortführung kann ich mir einen Austausch über Politik und Kunst zu folgenden Fragen vorstellen: Für wen sind diese Aktionen im öffentlichen Raum? Welche Formate und Orte für politische Themen und Performances wirken wie? Welche Begegnungen ermöglichen sie und welches Publikum erreichen sie? Was wollen wir erreichen, wenn wir als Künstler*innen, Vermittler*innen sagen: „Die Krise kann mich mal!“? etc. Ich schätze in solchen Werkstätten die Gelegenheit, Kolleg*innen wiederzutreffen und sich miteinander auszutauschen, Impulse mitzunehmen, unabhängig davon, was konkret vor Ort geschafft wird.
Angelika Andrzejewski, Leiterin Junges DNT Weimar / Theaterpädagogin
Das Gefühl einer Krise war bereits da, bevor die ASSITEJ-Werkstatt und das WILDWECHSEL-Festival in Zwickau begannen. Durch die Vorberichtserstattung zur Performance LECKEN von CHICKS*, die für mich aktuelle Themen und Fragen der Repräsentation auf der Bühne infrage stellte, baute der Druck sich bereits auf zu reagieren, aufzustehen, sich zu bewegen. Aber wie und wohin? Die ASSITEJ-Werkstatt „Die Krise kann mich mal!“ startete dadurch wohltuend mit einem übergeordneten, wissenschaftlichen Blick auf das Phänomen der Krise und den Umgang damit, mit dem dazugehörigen Soundtrack der Straße, wo die Trillerpfeifen von VERDI ein Beispiellied für Arbeiterkampf lieferten. Dr. Simon Teune deklinierte in seiner Keynote nicht nur die Definition für Krise und die Reaktionsmechanismen, vor allem beschrieb er die Phasen des Widerstands und des Protests. Ein Zustand, den die meisten der etwa 20 Teilnehmenden im Raum gerade teilten. Jede Protestbewegung unterliegt bestimmten Zyklen, auch Phasen der Regression gehören dazu. Diese Erkenntnis, dass Gruppierungen, die gerade still scheinen, nicht sterben, sondern einem typischen Rhythmus des Protests unterliegen, war hoffnungsvoll. Elisa Ueberschär brachte die neu gewonnene Motivation dann ins Handeln. Im zweiten Teil ging es nach dem kurzen Kommentar zu Lecture-Performances in das Beispiel-Happening 30 Stunden Runder Tisch. Intervention im öffentlichen Raum? Happening? Lecture-Performance? Die Definitionen schienen schnell überflüssig. Viel entscheidender: Wie kommen die Stellungnahmen zu einem theatralen Konzept? Selbstproduzierter Text produzierte bei allen Teilnehmenden unmittelbare Theaterkonzepte. Alle bezogen auf den öffentlichen Raum. Das offene Fenster ließ die Megaphon-Ansagen von draußen direkt in die Inspirationen drinnen einfließen. Aufgetankt waren wir zum Schluss und angereichert mit Ideen zu konkreten Konzepten und der Erkenntnis, wie schnell und wirksam wir alle Lecture-Performances umsetzen könnten: Krise, wir kommen!
Johanna Jäger, Dramaturgin am tjg. theater junge generation, Dresden
Gelegenheit zu finden, einmal aus der Alltagsarbeit aussteigen zu können und mit geschätzten Kolleg*innen in den Denkaustausch gehen zu können, ist immer eine wertvolle Sache. Allein vor diesem Hintergrund war die ASSITEJ-Werkstatt für mich persönlich eine große Bereicherung. Zumal es hier Gelegenheit gab, sowohl Kolleg*innen nach langer Zeit einmal wiederzusehen, als auch einigen zum ersten Mal persönlich zu begegnen.
Den Vortrag von Simon Teune (FU Berlin) habe ich als bereichernden Impuls wahrgenommen, der die Thematik für mich auch noch einmal in einen größeren Kontext gestellt hat – sowohl inhaltlich, als auch künstlerisch. Ein wunderbarer Effekt war dabei auch die parallel stattfindende Gewerkschaftsdemo, die uns verdeutlichte, dass es, bei allem was wir tun, um tatsächliche gesellschaftliche Relevanz geht (gehen muss). Der praktische Teil mit Elisa Ueberschär schloss thematisch gut an den Vortrag an. Für diesen praktischen Teil des Tages war das zur Verfügung stehende Zeitfenster sehr knapp. Hier hätte ich mir etwas mehr Stringenz gewünscht. Aber natürlich kann so ein Tag auch im besten Falle nur Anstöße geben. Ob das Format einer Lecture-Performance im Kontext barrierearmer Kunst-/Kulturangebote das richtige sein kann, ist streitbar und wurde so auch in der Arbeit betrachtet. Vielen Dank an alle, die diese Veranstaltung geplant, organisiert und durchgeführt haben.
Jörn Kalbitz, Dramaturg am Theater der Jungen Welt Leipzig
Die ASSITEJ-Werkstatt markierte den Start für das WILDWECHSEL-Festival – oder besser gesagt, den Start für den Arbeitskreis OST beim WILDWECHSEL-Festival. Ich habe mich sehr auf das Thema und die Dozierenden gefreut. Leider war das Thema Krisen und soziale Bewegungen aktueller denn je. Den Start der Werkstatt machte ein theoretischer Input, welchen ich als sehr bereichernd fand. Ich hätte mir zur Unterstützung meiner Aufmerksamkeit ein Handout oder eine visuelle Unterstützung gewünscht. Auch eine stärkere Verbindung zur Situation vor Ort hätte ich mir für den Start des Festivals bzw. der Werkstatt gewünscht. Wir haben im Laufe des Festivals weiter viel darüber geredet, aber da war der Dozent zum Beispiel nicht da, welcher sicherlich nochmal anderen Input oder Gedankenanstöße dazu hätte geben können. Leider muss ich sagen, dass mir der zweite praktische Teil nicht sehr gut gefallen hat. Dafür, dass er praktisch sein sollte, saßen wir eigentlich nur im Kreis und haben gemeinsam Ideen gesammelt. Klar, es gab die Übung des automatischen Schreibens und eine kurze Vorstellung eines praktischen Beispiels. Mir hat aber die Verbindung zu meiner Arbeit gefehlt oder das Kennenlernen einer neuen Methode, die ich anwenden kann. Als Gruppe haben wir tolle, kreative Ideen gesammelt. Die hätte ich gerne direkt ausprobieren wollen, um zu merken, auf was ich selbst bei der Anleitung mit jungen Menschen achten muss. Über diesen Aspekt wurde zwar kurz gesprochen, kam mir aber grundlegend zu kurz: Wie kann ich mit jungen Menschen theatrale Protestaktionen schaffen? Was ich allerdings aus der Werkstatt mitnehme, ist das Potenzial von öffentlichen Plätzen als neue Orte für künstlerische Proteste. Ob ich diese allerdings auch in meiner theaterpädagogischen Arbeit mit jungen Menschen einfließen lassen will, wie ich es in der Werkstatt gezeigt bekommen habe, weiß ich nicht. Die präsentierte Aktion haben zwei professionelle Theatermenschen gemacht und eben keine Laien, mit denen ich hauptsächlich arbeite. Auch die Methode des automatischen Schreibens ist mir bereits bekannt, aber wurde mir durch die Werkstatt nochmal bewusster gemacht. Für eine weitere ASSITEJ-Werkstatt wünsche ich mir weiterhin eine Kombination von Theorie und Praxis. Für den praktischen Teil wünsche ich mir zusätzlich zum Zeigen von Beispielen und Methoden auch das selbstständige Ausprobieren.
Anna Fricke, Theaterpädagogin am Theater Altenburg Gera

