„Der Theaterbesuch ist für mich ein Bildungserlebnis, nicht im Sinne der Vermittlung von Werten, Kompetenzen, Wissen oder Literatur, sondern Selbstbildung in der Auseinandersetzung mit einer Aufführung, die jeden Zuschauer anders anspricht, berührt, irritiert oder überrascht.
Das Besondere am Theater ist die gemeinsam verbrachte Zeit von Zuschauern und Akteuren im Ereignis der Aufführung. Dabei wirken Zuschauer oft genauso stark mit wie die Spieler auf der Bühne: Sie reagieren lautstark (oder sind verdächtig ruhig), sie hüsteln wenn es gerade mucksmäuschenstill ist oder stecken sich gegenseitig beim Lachen an. Kurz: sie beeinflussen das Bühnengeschehen und die Atmosphäre im Raum.
Aber neben diesem kollektiven Prozess des Zuschauens findet bei jedem Einzelnen eine Auseinandersetzung, ein persönliches Erleben des Ereignisses statt. Dabei stellt sich oft die Frage: Was will die Aufführung von mir? Diese Frage lässt sich oft nicht einfach beantworten und führt zu der Gegenfrage: Was erwarte ich vom Theater?
Ein Theaterbesuch stellt besonders Kinder und Jugendliche, die Theater im Rahmen einer Schulveranstaltung besuchen, vor die Herausforderung, umzudenken. In der Schule geht es oft ums „richtig verstehen“, darum, Rechenwege nachzuvollziehen, sich Methoden und überprüfbares Wissen anzueignen, darum, den gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Viele Schüler erwarten auch im Theater Eindeutigkeit. Sie fragen: Wie soll ich das verstehen, was soll mir das sagen, was soll ich daraus lernen, was ist die Botschaft? Darum ermuntere ich gerade Schüler gerne, „egozentrische“ Zuschauer zu sein, sich auf die eigene Wahrnehmung zu konzentrieren und eigene Reaktionen zu hinterfragen: Was für Gefühle weckt das Bühnengeschehen in mir? Welche Assoziationen kommen auf? Welche Rätsel tischt mir die Aufführung auf und macht sie mir Lust, sie zu lösen? Warum nervt mich dieses Stück gerade oder warum lässt es mein Herz hüpfen?
Theater ist für mich als Zuschauerin immer wieder Impulsgeber, Denk-Freiraum und Gefühlsanreger. Und es ist ein Raum, in dem es darum geht, im Hier und Jetzt zu sein, und nicht über den Kalender oder die aktuelle To-Do-Liste nachzudenken, sondern sich auf den Moment und auf einen anderen Blick auf die Welt einzulassen. Darum halte ich es für wichtig, Kindern und Jugendlichen die Chance zu geben, Wege ins Theater zu finden und es für sich zu entdecken: um sich überraschen, bewegen und irritieren zu lassen, um mit Theatermachern und Zuschauern ins Gespräch zu kommen und um sich als aktiver Zuschauer einzubringen und das Theater mit zu gestalten.“
Anna Eitzeroth, die an der Stiftungsuniversität Hildesheim Szenische Künste studiert hat, arbeitet seit März 2013 im Kinder- und Jugendtheaterzentrum. Sie ist Fachmitarbeiterin mit dem Arbeitsschwerpunkt Theater in der Kulturellen Bildung und hat die Leitung des Projektes „Wege ins Theater!“, Projekt der ASSITEJ im Rahmen des Bundesprogramms „Kultur macht stark! Bündnisse für Bildung“, inne. Von 2008 bis 2013 war sie Dramaturgin mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendtheater am FFT Düsseldorf.