Die Inszenierung
STRUWWELVÄTER
von IMBOS/BASEL
am 21. April 2016 im Theaterhaus Frankfurt in Frankfurt am Main
Vier Spielerinnen und Spieler, im Alter von etwa drei Generationen, entfalten in 90 Minuten einen „Familienbilderbogen“, der vom deutschen Kaiserreich über die Weimarer Republik und den Faschismus bis in die Nachkriegszeit reicht. 1918 heiratet der Verleger Wilhelm Ernst Oswalt Wilhelmine Rosenhaupt. Mit zwei Söhnen führt die jüdische Familie in Frankfurt am Main ein großbürgerliches Leben. Erst durch die Auswirkungen der nationalsozialistischen Politik verliert der Verlag erst seine Kundschaft, dann die Familie das Haus und schließlich Wilhelm Oswalt den Verlag. Während der ältere Sohn Heiri in der Schweiz überlebt, stirbt die Mutter nach längerer Krankheit, der Vater kommt im Konzentrationslager zu Tode und auch der jüngere Sohn Lux überlebt die Verbrechen der Faschisten nicht.
Mit Ruth C. Oswalt, der ältesten Spielerin, beginnt und endet die gemeinsame Erzählung. Sie stellt sich als Enkelin des Verlegers vor, die sie tatsächlich ist. Aus Familienbriefen, die sie vor nicht allzu langer Zeit entdeckt hat, hat das Ensemble mit der Regisseurin Antonia Brix ein vielschichtiges Erzähltheater entwickelt. Mit dabei war auch der Schauspieler und Autor Gerd Imbsweiler, mit dem Ruth Oswalt in Basel das Theater Spilkischte, das heutige Vorstadttheater Basel, gründete. Nach seinem Tod ist die Inszenierung jetzt mit neuer Besetzung wieder aufgenommen worden.
Gezeigt wird zwar eine der zeitlichen Abfolge nach durchgehende Erzählung. Die einzelnen Szenen bestehen aber aus einem Kaleidoskop unterschiedlicher Perspektiven. Dramatische Sequenzen wechseln mit erzählten Passagen, parallel geführte Handlungsstränge mit der Konzentration auf einen Moment. Die familiären Tableaus werden von den Spielern selbst mit vielseitig verwendbaren Requisiten in Szene gesetzt. Auf schnell errichteten kleinen Spielflächen wird mit Stabpuppen immer wieder die Aufmerksamkeit auf einzelne Punkte der Bühne konzentriert. Zwischendurch wird die Handlung mit Passagen aus den Geschichten des „Struwwelpeters“ verbunden. Die Spieler agieren mit Masken als Figuren aus dem lehrreichen Bilderbuch, das zu dem verlegerischen Erfolg von Wilhelm Oswalt beigetragen hat.
Das vielschichtige Spiel wird in eine offene Bühne mit funktionalen Spielelementen gestellt. Es wird zwar in historisierenden Kostümen gespielt, fast alle anderen Requisiten sind aber entweder neutrale Bretter, Stühle, Tücher oder Nachbauten aus Papier und Karton – vom Teppich bis zur Schreibmaschine. Auch auf diese Weise wird eine einfühlende Aufnahme der Inszenierung immer wieder konterkariert und ein reflektierender Abstand zu den vorgeführten Ereignissen hergestellt. So gelingt es Julius Griesenberg, Frauke Jacobi, Ingo Ospelt und Ruth C. Oswalt, die Nachfahren zum Nachdenken über dieses immer wieder bedenkenswerte Kapitel deutscher Geschichte anzuregen.
Jürgen Kirschner
PS: Weitere Vorstellungen im Theaterhaus in Frankfurt (Main) am 23. und 24. April 2016