Noch fehlt das junge Publikum: Neue Arbeitsformen im neuen Musiktheater

Geehrt durften wir – die ASSITEJ AG Musiktheater für junges Publikum – uns schon fühlen: Die beiden künstlerischen Leiter der Münchener Biennale für neues Musiktheater hatten eine ganze Stunde Zeit für das Gespräch mit Kinder- und Jugendtheatermacher*innen aus Deutschland und der Schweiz und zeigten sich sehr interessiert an einem Austausch. Mehr über die Arbeitsweise von Manos Tsangaris und Daniel Ott gibt es z.B. auf BR Klassik nachzulesen und in der ARD nachzuhören.

Dr. Christiane Plank-Baldauf hat als Gast-Autorin für uns ihre Eindrücke der Biennale und des begleitenden Symposiums zusammengefasst. Ihr Fazit nehme ich hier gern vorweg:

Als wichtiger Parameter zum Gelingen einer produktiven Gemeinschaft wurden v.a. die Freiheit im Austausch, der Luxus ausreichender Vorbereitungs- und Probenzeit, das Übernehmen von Verantwortung im Team sowie die genaue Kenntnis der anderen Arbeitsfelder genannt. Gerade in dieser Diskussion wurde deutlich, dass das Kinder- und Jugendtheater sowohl in der Frage nach den Arbeits- und Produktionsweisen, als auch in der Auseinandersetzung mit dem Publikum einen Erfahrungsvorsprung hat, der in einer spannenden Zusammenarbeit zwischen Biennale und ASSITEJ münden kann.

Und hier geht es zum vollständigen Beitrag…

OmU – Original mit Untertitel“ lautete das Thema der diesjährigen Münchener Biennale, die erstmals unter der neuen künstlerischen Leitung von Daniel Ott und Manos Tsangaris stattfand. Es geht im weitgefassten Sinn um die Fragen nach dem Verhältnis von Original und seiner Nachbildung, seiner Untertitelung und Überschreibung. In den unterschiedlichen Formen und Formaten der Biennale werden verschiedene Kunstsparten wie Musik, Theater, Architektur, Literatur und Film miteinander in Beziehung gesetzt und die Grenzen neu ausgelotet.

Beim Besuch von Aufführungen wie Anticlock des Autorenkollektivs Mirko Borscht (Regie), Christan Beck (Bühne), Hannes Hesse (Video), Brigitta Muntendorfs (Komposition, Libretto) Für immer ganz oben nach der Erzählung von David Foster Wallace, Stephanie Haenslers Mnemo/scenes: Echos oder auch Georges Aperghis Miniatur Pub-Reklame wird deutlich, wie weit gefächert Ott und Tsangaris den Begriff des Musiktheaters fassen. Mit einem Verweigern tradierter Genres oder Gattungstypologien – wie sie bislang das Erscheinungsbild der Münchener Biennale geprägt haben – öffnet sich der Weg für neue Erzählformen und das Ausloten neuer Räume (vom Theaterraum, über das Müllersche Volksbad bis hin zur Performance am Isarufer). Gleichzeitig wird das intermediale Zusammenwirken verschiedener künstlerischer Ausdrucksformen, aber auch die Frage nach neuen Produktionsprozessen erkundet. Für die Zuschauer bedeutet dies, innerhalb dieser Rezeptionsmodelle das eigene Zuschauen und Zuhören zu hinterfragen.

Flankiert wurden die Aufführungen von einem Symposium zu den „Suchbewegungen im heutigen Musiktheater“, auf dem sich die vielfältigen Vorträge gar nicht erst mit einer labyrinthischen Suchen nach terminologischen Bestimmungen aufhielten. Statt dessen untersuchten Referenten wie Jörn Peter Hienkel (Dresden) und David Roesner (München) diese „new discipline“ auf ihre theatralen Besonderheiten: Darunter fallen Phänomene wie die „Fremdheit im Vertrauten“ (Roesner), die „Verschränkung zwischen Konzert und Musiktheater“ (Hienkel), die Abkehr von einem inhalts- und institutionsbezogenen Aufführungsbegriff sowie die Verschränkung von inszenatorischer, ausführender und darstellender Ebene im Autorenkollektiv. Dieter Mersch (Zürich) stellte in seinem Vortrag die Originalität des Kunstwerks als eine zeitgebundene Erscheinung dar, die seit den 1950er-Jahren durch einen neuen Werkbegriff abgelöst wurde. Dieser lässt sich im Zuge offener Produktionsprozesse als eine „Entwerkung“ beschreiben, die v.a. die Einzigartigkeit der Aufführung in den Vordergrund rückt.

Die neue „Ko-Kreativität im Musiktheater“ war Thema der abschließenden Diskussionsrunde mit dem Komponisten Leo Dick, der bildenden Künstlerin Judith Egger (Installation Hundun), dem freien Regisseur Christian Grammel (Speere, Stein, Klavier) und der Biennale-Dramaturgin Marion Hirte. Dabei wurde nochmals das Arbeitsmodell der Plattformen vorgestellt. Stellvertretend für die 35 teilnehmenden Künstler beschrieben Christian Grammel, Judith Egger und Marion Hirte diesen Arbeitsprozess als ideale Kreativbörse mit dem Hang zu einer „kreativen Überforderung“. Das Zusammenfinden einer „communitas“, im Sinne einer spirituellen Gemeinschaft (Dick) bedarf jedoch einer behutsamen Anleitung durch begleitende Diskurse (im Team und mit den künstlerischen Mitarbeitern der Biennale).

Fazit: Als wichtiger Parameter zum Gelingen einer produktiven Gemeinschaft wurden v.a. die Freiheit im Austausch, der Luxus ausreichender Vorbereitungs- und Probenzeit, das Übernehmen von Verantwortung im Team sowie die genaue Kenntnis der anderen Arbeitsfelder genannt. Gerade in dieser Diskussion wurde deutlich, dass das Kinder- und Jugendtheater sowohl in der Frage nach den Arbeits- und Produktionsweisen, als auch in der Auseinandersetzung mit dem Publikum einen Erfahrungsvorsprung hat, der in einer spannenden Zusammenarbeit zwischen Biennale und ASSITEJ münden kann.

Von Christiane Plank-Baldauf (Theaterakademie August Everding, LMU München)

http://www.assitej.de/arbeitsgemeinschaften/musiktheater-fuer-kinder/

Herzlichen Dank an Christiane Plank-Baldauf, Annette Geller (Biennale), Andrea Gronemeyer und alle Teilnehmer*innen des Treffens.

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