Laura Mattes und Friederike Kemmether, Stipendiatinnen und Teilnehmerinnen des „Denkraums“ der dg:starter haben sich Gedanken gemacht: „Was ich in den Denkraum mitbringe“. Dieser findet im Rahmen des 29. Frankfurter Autorenforums am Fr., 3.11., 12.00 Uhr statt. Herzliche Einladung zum Mitdiskutieren.
Friederike Kemmether denkt beim Nordseeurlaub über Schauspieler und Junge Akteure nach:
Schauspieler
Eine Schauspielerin geht mir nicht aus dem Kopf. Allein mit der Körperlichkeit ihres Spiels hat sie geschafft, mich an etwas zu erinnern, wozu ich in mir selbst den Kontakt verloren hatte. Etwas ist in mir wieder munter geworden, etwas, von dem ich zu vergessen drohte, dass es menschen-möglich ist und bleibt. Wie kann man sich denn als Schauspieler „berechtigt“ fühlen? Für wen ist man es: im „Konzert“ des menschlichen Miteinander die Gabe zu besitzen und als Leistung einzubringen, Gefühle zu entfachen, zum Mitfühlen anzustiften, es wieder bewußt zu machen. Weil so vieles nicht selbstverständlich ist, nicht von vornherein und beständig vor- und zuhanden. Was braucht es eigentlich so an Menschlichem, um sich als Mensch zu fühlen – und sich als Mensch zu geben? Habe ich das eigentlich noch „drauf“: aufrechten Gang, gleichmäßiges Stehen, jemanden richtig Anschauen, einen Satz über die Lippen bringen, die Gabel zum Munde führen. Im Theater erinnere ich mich an den Menschen und das Menschliche (auch in der Hülle des Unmenschlichen). Ich werde meiner eigenen Vereinzelung gewahr, und unser aller Gemeinschaftlichkeit.
Junge Akteure
Ich denke an ein Mädchen, das in einer Art von Emigration aufwächst. Es kennt Theater nur von Ton- und Filmaufnahmen, aus Bildbänden, Biographien, Kritiken. Es liest darin von großer Hingabe an das Theater, von intensiver Faszination. Es versucht, sich diese Gefühle Fremder zu erklären. Was muß Theater an sich haben, dass jemand darüber staunt, wie einer über Verse tänzelt, so dass sie „wie Damaszener-Klingen schwingen“. Das Mädchen malt sich das Theater aus. Es dichtet es sich zurecht, redet es schön. Es erschafft sich eine Leidenschaft, indem es sich die Faszination anderer Menschen herzuleiten versucht: Wie muß Theater gemacht werden, damit dergleichen geschehen kann.
Ich sehe zwei Elfjährige. Sie tragen gepuderte Perücken, aufgemalte D‘Artagnan-Bärtchen, stecken in Seidenstrümpfen und Spitzenjabot. Als gräfliche Parvenues geben sie sich sehr geziert. Wie verstehen sie schon, Gepflogenheiten von Erwachsenen zu persiflieren.
Ein junger Menschen springt über eine Rampe und verwandelt sich zum Superhelden einer Lebensform, die selbst ihre eigene Wunderwaffe ist: Laute, Zäsuren, Sätze; Welten, verborgen hinter und in kaum zusammenhängenden, versprengten sprachlichen Äußerungen.
Laura Mattes und ihre Fragen an die Wirklichkeitserfahrungen:
In unserer Gegenwart sind wir alle Lebenskünstler. Das Bild, das wir von uns und unserer Welt zeichnen, kann jeden Tag anders aussehen. Die Wirklichkeit der Moderne besteht aus fragmentarischen Möglichkeits-Schnipseln, fransige Anfänge mit offenen Enden. In der sich ständig aktualisierenden, digitalisierten Welt befindet sich ein gerade stattfindendes Ereignis im Moment seiner Gegenwart eigentlich schon in der Erörterung von Vergangenem. Eine Frage (oder mehrere), die ich zum Denkraum mitbringen möchte, lautet daher: Wie kann sich das Theater (oder besser: der Theaterraum?) in Zukunft (mittels digitaler Medien?) entgrenzen (sollte er das überhaupt?) und – strukturell wie künstlerisch – auf unsere fragmentarische Wirklichkeitserfahrung reagieren, ohne dabei aufzugeben, was das Theater als ästhetischen Vorgang im Besonderen ausmacht? Die Aufführung als Ereignis im Hier und Jetzt eines geteilten Bühnenraumes. Die eigenen – ästhetischen, strukturellen, institutionellen – Grenzen zu überschreiten und trotzdem den in unserer Wirklichkeit vom Aussterben bedrohten Live-Moment zu verteidigen, das wird eine der Herausforderungen des Theaters der Zukunft sein.