Von Nikola Schellmann
Staatstheater Mainz, 28. September 2018, Probebühne.
Mein erstes Treffen mit dem Arbeitskreis Südwest. Das ist ein regionaler ASSITEJ-Zusammenschluss von Theaterpraktiker*innen, in diesem Falle aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Einige von uns haben eben vor dem Treffen die tanzmainz-Premiere von Krawall im Kopf gesehen und ich bin immer noch nachdenklich gerührt und auch produktiv mitgenommen von der Energie, der tänzerisch-hinterfragenden Kraft, mit der da unten in der Spielstätte U17 vermeintliche Normen erschüttert werden. Mit der an das Selbstbewusstsein nicht nur junger Zuschauer*innen appelliert wird. Und – so plakativ das auch klingen mag – durch die ertappte Erinnerungen an die Teeniezeit und der Wunsch entstehen, dass schon damals Regeln in meinem Kopf krawallig unterbrochen, ge/brochen und zer/brochen worden wären.
Und nun: ein Arbeitstreffen. Der etwas harte Übergang entpuppt sich jedoch als konstruktive Auseinandersetzung mit einer relativ schnell deutlich-konkreten Veranstaltungsplanung: Ich dachte, ich beobachte erstmal, lerne Kolleg*innen kennen und bringe dann Themen in unsere späteren Diskussionen im KJTZ mit. Nö! In 2018 soll noch eine öffentliche Veranstaltung dieses Arbeitskreises stattfinden, der sich in regelmäßigen Workshops oder Treffen bei Festivals weiter- und fortbildet. Was lässt sich in diesen verbleibenden Wochen des Jahres gemeinsam schaffen? Wie kommen wir ins Gespräch? Fortbildung via Workshops von uns selbst für uns selbst?
Antwort: Impulsvortrag! Von eine* literarischen Autor*in! Kein allzu direkter Zugang aus dem Kinder- und Jugendtheaterbereich, sondern etwas, worüber anschließend für die eigene Praxis diskutiert werden kann. Kein Kaltstart nach dem Weihnachtsmarktglühwein, kein sofortiges In-eine-Diskussion-geworfen-Werden, sondern sich erstmal schön zurücklehnen und jemandem zuhören.
Staatstheater Mainz, 14. Dezember 2018, Orchestersaal.
Zuhören ist denn auch einer der zentralen Punkte, die Lukas Rietzschel in seinem Impulsvortrag anspricht. Was beschäftigt die Menschen? Er wurde in der Oberlausitz geboren, studierte in Kassel, lebt nun in Görlitz und beschreibt, wie er sich eben nicht zurücklehnen, sondern stetig hinterfragen will, was da „zuhause“ passiert. Welche Ängste sind da? Welche kommunalpolitischen Initiativen, seien sie noch so „klein“ wie das gemeinschaftliche Bepflanzen eines Verkehrskreisels, geben Zugehörigkeitsgefühl? Die Neonazis sind da. Es gibt sie. Es gibt Menschen, die sich aktiv gegen das wenden, was wir in dieser Veranstaltung diskutieren wollen.
Jeden Tag zeigen wir in unseren Theatern für junges Publikum Stücke und Projekte, in denen es um die ganze komplexe Welt geht: Um Familien und Freundschaften, um Geschlechtergerechtigkeit und Fairness, um Antirassismus und Interkulturalität. Und doch: Ein mulmiges Gefühl schleicht sich ein. Reicht das? Bleiben wir in unseren schönen, achtsam gestalteten und kreativen Räumen nicht zu weit weg von der Straße, auf der gerade die Demokratie in Frage gestellt wird? Was können und müssen wir tun? Was als politische Menschen und was als Kulturschaffende?
Lukas Rietzschel spricht wenig über seinen Bestseller-Roman Mit der Faust in die Welt schlagen und über die Praxis des Kinder- und Jugendtheaters, doch gerade seine präzisen Beobachtungen zu konkreten Situationen in Sachsen liefern Gesprächsstoff für die anschließenden Tischrunden, in denen Normen, Krawall und Hilflosigkeit diskutiert werden. Die Erwartungen an die Veranstaltung scheinen aufzugehen. In mehreren Gruppen sind neben Moderator*innen aus dem Arbeitskreis auch lokale Initiativen zu Gast, die über ihre konkrete Arbeit in der Region sprechen: Susanne Freiling und Lina Zehelein mit dem Kompetenznetzwerk und Bundesprogramm „Demokratie leben!“, Johannes Gaudet mit dem Netzwerk für Demokratie und Courage, Luisa Schumacher mit Nicolai Zimmermann von der Alternative JugendKultur Bad Kreuznach e.V.
SWR2 ist vor Ort und interviewt Lukas Rietzschel zu seiner Arbeit.
Viele Zuhörer*innen des Vortrags bleiben auch zu den Gesprächen, bleiben später an der Bar und liefern ihrerseits wieder Impulse, die Heike Mayer-Netscher, Koordinatorin, und Susanne Freiling, Sprecherin des Arbeitskreises mitnehmen und im neuen Jahr 2019 in weiteren Veranstaltungen von JUNGES THEATER für DEMOKRATIE aufgreifen wollen. Die Themenschwerpunkte werden sich verschieben, aber das Bedürfnis des Austauschs angesichts aktueller gesellschaftspolitischer Fragen bleibt.
Zuhören, Zusammenarbeit und Kooperation – sowohl der Organisator*innen, des Staatstheaters Mainz in der Gastgeberrolle als auch der Vertreter*innen der verschiedenen Initiativen und des Arbeitskreises – werden auch im neuen Jahr eine krawallig-produktive Diskurskraft sein.
Die Veranstaltung Mit der Faust in die Welt schlagen? war Auftakt der Reihe JUNGES THEATER für DEMOKRATIE, die als ASSITEJ-Werkstatt über das Jahr 2019 an verschiedenen Orten in Hessen, Saarland und Rheinland-Pfalz stattfinden wird. Die Veranstaltung wird unterstützt vom Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur Rheinland-Pfalz und findet in Kooperation mit dem Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland statt.
Die Arbeit des Arbeitskreises Südwest wird unterstützt vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und dem Ministerium für Bildung und Kultur Saarland.