Wie war eigentlich… die Werkstatt „Transfer“ für Übersetzer*innen? Teil 1 von 5: Gundula Schiffer

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vordere Reihe v.l.: Seminarleiterin Barbara Christ, Gundula Schiffer, Barbara Neeb, Friederike von Criegern; hintere Reihe v.l.: Projektleiterin Nikola Schellmann, Zuzana Finger, Wolfgang Barth

Ein Wochenende voller… Zwiebeln in Hülle und Fülle? Fetischhunde? Superheldinnen? Papageien und Justizminister? Dämonen und gezählter Kühe? Das gibt’s nur bei der Werkstatt Transfer Kinder- und Jugendtheater in Übersetzung. Das KJTZ veranstaltete vom 21. bis 25. März zum vierten Mal die Übersetzer*innenwerkstatt im Rahmen des Internationalen Theaterfestivals für junges Publikum Rhein-Main Starke Stücke, in Zusammenarbeit mit der KulturRegion FrankfurtRheinMain und mit Unterstützung durch den Deutschen Übersetzerfonds.

Hier bloggen in den kommenden Wochen die diesjährigen Teilnehmer*innen der Werkstatt Wolfgang Barth, Friederike von Criegern, Zuzana Finger, Barbara Neeb und Gundula Schiffer über ihre Eindrücke der Werkstatt und ihre übersetzten (Theater-)Texte und Projekte.


von Gundula Schiffer

Die Möglichkeit, als literarische Übersetzerin Werkstätten zu besuchen und mich mit Kolleg*innen über laufende Projekte austauschen zu können, empfinde ich stets als großen Luxus, inspirierend und gewinnbringend für die eigene Arbeit. Dass uns der Deutsche Übersetzerfonds jährlich eine solche Palette an Werkstätten und Stipendien bietet, bedeutet eine große Unterstützung unseres künstlerischen Berufs. Das kann man gar nicht häufig genug lobpreisend und dankend erwähnen. Die Teilnahme an Transfer – Kinder- und Jugendtheater in Übersetzung hat diese Erfahrung erneut und in besonderem Maße bestätigt. Sehr angenehm habe ich dieses Mal die Teilnehmer*innenzahl empfunden, die mit fünf nur halb so groß war wie etwa bei den ViceVersa-Werkstätten. Bei fünf zu besprechenden Texten verläuft das Seminar konzentrierter und die Ergebnisse bleiben meinem Gefühl nach besser im Gedächtnis.

Ich bin sehr froh, dass der DÜF neben dem doch dominierenden Genre des Romans zunehmend auch Workshops zu Spezialgebieten und ‚Nischen‘ anbietet, wie etwa zum Lyrik-, Theater- und Comicübersetzen sowie demnächst auch zum Übertiteln fürs Theater, und dafür fruchtbare Kooperationen eingeht, wie beispielsweise mit dem Kinder- und Jugendtheaterzentrum in Frankfurt. Ich wünsche mir in Zukunft noch mehr gerade Werkstätten dieser Art für Theaterübersetzer. Mich haben in der Ausschreibung besonders der Festivalrahmen und die Aussicht, viele Theaterstücke zu sehen, angezogen. Denn gerade dieser natürliche Praxisbezug kommt bei uns Textarbeiter*innen ja meistens zu kurz. Es wäre schön, wenn man hier in Zukunft Werkstatt- und Theatergeschehen noch mehr aufeinander abstimmen, also Stücke wählen könnte, in denen die sprachliche Gestaltung eine besondere Rolle spielt; auch würde ich szenische Lesungen begrüßen, in denen man die Übersetzungen, vielleicht unter professioneller Anleitung, ganz praktisch auf ihre Sprechbarkeit und Theatertauglichkeit hin erprobt; außerdem fände ich noch mehr moderierte Gespräche mit Regisseur*innen, Schauspieler*innen, Verlagslektor*innen etc. sinnvoll, weil sich uns Übersetzer*innen diese Gelegenheit sonst nirgendwo so direkt bietet.

Sehr spannend fand ich speziell in dieser Werkstatt zum Kinder- und Jugendtheater die Diskussionen, die sich um die Frage entfacht haben, was einen Theatertext eigentlich literarisch wertvoll und geeignet für Kinder und Jugendliche macht. Es ging dabei um ästhetische und sprachliche Aspekte, ebenso wie um die schwierige Frage, wie Texte auf Kinder wirken und was man ihnen zumuten kann. Es hat mich verblüfft, wie weit die Meinungen unter den Kolleg*innen hier auseinandergehen. Während ich mich beispielsweise für das albanische Stück Gamomali von Jeton Neziraj, vorgestellt von der Kollegin Zuzana Finger, begeistern konnte, weil ich es in der Tradition des surrealistischen Theaters von Eugène Ionesco sah, wo das Lustige zugleich tragisch sein kann, wirkte der Text in derselben Passage auf andere bloß komisch, ja sogar lächerlich. Auch bin ich persönlich ein großer Fan des Fragmentarischen und Assoziativen und glaube auch bei Kindern nicht, dass sie grundsätzlich nur mit linearen Handlungen konfrontiert werden sollten und wollen. Mir fiel auf, dass sich diese Fragen, die eigentlich das Wesen von Literatur insgesamt betreffen, im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters verschärft stellen. Als stünde das Kind und seine Wahrnehmung für die Essenz des Literarischen. Das hat mich motiviert, in der Zukunft bei der eigenen Arbeit gerade nach den Gemeinsamkeiten von Erwachsenen- und Kinderliteratur zu fragen.

Und dies war dann auch ein Impuls für den Umgang mit konkreten Schwierigkeiten in dem hebräischen Stück, das ich in die Werkstatt mitgebracht hatte: Michal Kleins Gold, Knobi, Zwiebel oder nix. In diesem Stück gibt es nicht nur metrisch regulierte und gereimte Lieder, sondern sogar die Dialoge sind vollständig gereimt. Hier hatte ich mir Sorgen gemacht, dass durch die Reime zu viele Wörter in meinen deutschen Text hereinkommen, die Kinder nicht verstehen bzw. nicht zu ihrem Wortschatz gehören, wie etwa „Passion“, „opportun“ oder „flexibel“. Außerdem basiert das Stück auf der Erzählung Der Zwiebel-Meister und der Knobi-Meister von Chaim Nachman Bialik, der als Nationaldichter Israels gilt und sich durch eine Sprache auszeichnet, die tief im biblischen Hebräisch wurzelt. Entsprechend pathetisch und hoch wirkt der Ton in den Bialik-Zitaten. Sollte ich das dämpfen? Die Antwortet aus dem Werkstatt- und den Praxisgesprächen mit Theatermacher*innen lautete sehr einhellig: nein. Und bestärkt wurde diese Ansicht auch durch die Inszenierung Der Bär, der nicht da war des Theaters Marabu, wo von einem „saumseligen Salamander“ die Rede ist, für Kinder ab vier Jahren. Der Reim ist ja vor allem auch ein Klangereignis, nicht jedes Wort muss verstanden werden. Das gilt in meinem Stück aus Israel auch für den „Etrog“, ein unverzichtbarer Bestandteil des jüdischen Laubhüttenfests. Der Etrog, eine Zitrusfrucht wird für das Sukkot-Fest von religiösen Juden auf seine Makellosigkeit hin eingehend geprüft (vgl. Lev 23,40; Mischna, Sukka 3,4). Entsprechend wird in Bialiks Erzählung eine Zwiebel begutachtet. Der Werkstattdiskussion verdanke ich unter anderem die Idee, in meiner deutschen Übersetzung zu vermerken, dass der erzählerische Vorspann in dem Bialik-Zitat an dieser Stelle von einer Off-Stimme einzusprechen ist.
Zwei Beispiel-Szenen aus Michal Kleins Gold, Knobi, Zwiebel oder nix, aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer (unveröffentlicht; Textauszug mit Genehmigung der Übersetzerin):

מיכל קליין - תמונה
Michal Klein

Zum Reim / unkindlichen Sprachgebrauch (?):

Esra: Vielleicht essen wir was und machen Rast?

Nachman: Ja, bloß keine Hast! Was haben wir zum Picknick?

Esra (verzweifelt): Brot und Zwiebel. Das ist alles, was wir noch haben, und auch das ist fast alle. (zieht zwei Butterbrote aus der Tasche) Wir brauchen Nachschub.

Nachman: Vielleicht, du Lausbub. (beißt ins Butterbrot, merkt, dass Esra schlecht gelaunt ist). Was denn, Esra – warum bist du so mies gelaunt?

Esra: Wie lange noch ziehen wir für „Nachmans wandernde Kamera“ durch die Welt, haben wir nicht genug fremde Länder bestaunt? (um Nachman nicht zu kränken) Damit du mich nicht falsch verstehst, von so einer Show ein jeder träumt, auch ich habe keine Folge versäumt, doch wird das Ganze gut oder schlecht ausgehen? Und wann ist das Ziel abzusehen?

Nachman: (singt)
3. Lied – Heute Honig, morgen Zwiebel
Das Ziel, mein Freund, ist gar nichts wert – wenn man sich über den Weg beschwert
in meinem Herzen lodert stets die Passion – ich genieße auch ohne Lohn
Refrain:
Das Glück ist im Leben stets flexibel
ist heute Honig und morgen Zwiebel
ich gehe wohin mein Schicksal mich führt
und empfange mit Freuden was mir gebührt

Nachman: Und du, Esra, hast du eine Passion?

Esra: Passion?

Nachman: Was in deinem Herzen lodert, immer schon.

Esra: Bei mir lodert im Moment nur die Zwiebel – brennt wie Feuer. Ich hab Lust auf was anderes zu essen, mehr will ich gar nicht.

Nachman: Vielleicht erfüllt sich, was du willst.

Esra: (schaut zum Himmel auf) Gott, der du meine Wünsche stillst!

Beispiel für ein Bialik-Zitat / Etrog:

Oberbürgermeisterin: Was also fehlt dem Gericht? Saftig und weich, gut gesalzen, nicht zu trocken – welch eine Schande. Werter Gast, was seid Ihr so sensibel?

Esra: (bekommt kaum ein Wort heraus, ihm platzt fast der Bauch) Für Zwiebel.

Nachman: (erinnert sich plötzlich und ruft aus) Zwiebel!

Oberbürgermeisterin: W… as?!

Nachman: Zwiebel!

Kochtopfminister: Zwiebel?

Oberbürgermeisterin: Verzeiht, werter Gast, woran Ihr vielleicht nicht denkt, ist, dass, wovon Ihr sprecht, unsere Küche gar nicht kennt.

Esra: Nicht kennt? Zwiebel? (zieht ein ganzes Netz Zwiebeln aus der Tasche. Kippt das Netz vor allen auf dem Tisch aus) Voilà: die Zwiebel! Scharf und etwas bitter. Stimmt, so einfach roh stinkt sie auch ein bisschen – aber verfeinern Sie jedes Essen mit ein bisschen Zwiebel – und das Essen gelingt.

Nachman: Etwas Zwiebel in jedem Gang und alle werden Ihr Essen loben mit Überschwang.

Oberbürgermeisterin: (zum Berater) Nu, Sie sind hier doch der Berater. Sagen Sie endlich was, sonst mach ich hier gleich Theater!

Berater: (und er nahm die Zwiebel und drehte sie mehrmals in der Hand, / er fühlte hier und drückte dort, / sog den Geruch ein-, zweimal durch die Nase ein, / sowohl durchs linke wie durchs rechte Loch, / er prüfte sie eingehend wie Etrog oder Edelstein, / besah sie sich doppelt und dreifach, / durch zwei Paar Brillen, ein Röhrchen und nahm die Faust als Fernrohr, / entblößte eine Schale nach der anderen / und enthüllte alle Schichten, / und als er mit der Zungenspitze an ihr geleckt hatte, sagte er vorsichtig) Fürwahr, sie hat etwas Bitteres ebenso wie Scharfes, und etwas Scharfes ebenso wie Bitteres, und etwas Zartes ebenso wie Hartes, und etwas Hartes ebenso wie Zartes; um ihr Inneres legt sich eine Schale ebenso wie sich Inneres um ihre Schale legt; sie ist weder kalt noch heiß, ist weder trocken noch feucht, und ihr Anblick gleicht nicht dem Anblick eines Kristalls, und ihr Geruch gleicht nicht dem Geruch von Zimt, ihr Geschmack gleicht nicht dem Geschmack des Kümmels, und sie unterscheidet sich vom gemeinen Radieschen ebenso wie vom Meerrettich; an ihr ist nicht der geringste Makel.

Alle: (verstehen nicht) Was soll das heißen? / Das kapier ich nicht. / Wovon redet er? / Ist das jetzt gut, oder schlecht?

Oberbürgermeisterin: Klare Sache.

Berater: Meiner Meinung nach, und ich bin hier der Experte, auch wenn mir der Geruch die Begeisterung zunächst erschwerte, und während ich sie betrachte, mir das Auge tropft …

Alle: (verstehen nicht) Was soll das heißen? / Das kapier ich nicht. / Wovon redet er? / Ist das jetzt gut, oder schlecht?

Oberbürgermeisterin: Und das heißt schlussendlich was?

Berater: Fürwahr, diese Zwiebel – wächst noch nicht in unserem Garten, doch mit ihr wird jedes Gericht besser geraten!

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