von Maja Das Gupta
Aus verschiedenen Gründen hätte ich gern zum Thema Inklusion gebloggt, es ist mir aber wegen einer Sehnenentzündung leider gerade nicht möglich, eigene Gedanken zu entwickeln (tippen verboten). Daher habe ich mich darauf beschränkt, Fragen zu stellen, die Tonaufnahme durch Software verschriftlichen zu lassen und mit linker Hand einige Korrekturen vorzunehmen (es ist erstaunlich, wie sehr es schon ein Handicap sein kann, plötzlich die Schreibhand nicht mehr benutzen zu dürfen – gerade als Autorin. Dank an dieser Stelle an all die Kolleg*innen, die mir in den letzten Tagen zur Hand gegangen sind).
Das Team von Jetzt bestimme ich konnte ich aus logistischen Gründen nicht treffen. Daher einige Fragen an Janny Fuchs, die Dramaturgin von Mädchen wie die von Evan Placey, das auf dem Festival seine Derniére hatte.
Wie kam es zur Auswahl dieses Stückes?
Janny Fuchs: Das hat ja eigentlich einen relativ konkreten Anlass, dass wir quasi ein Stück gesucht haben für Jugendliche und im Jugendtheater gibt es ja jetzt mal gar nicht so viele Texte, wo man sagt, das holt die Leute irgendwie ab, das hat einen interessanten Zugriff und das ist genau das, was wir machen wollen. Und dieses Stück von Evan Placey, Mädchen wie die, das war eben so ein Stück. Das hatte ganz viele interessante Strukturen, ein bisschen laborartig, extrem nah an dieser Zielgruppe dran. Und dann natürlich mit diesen eingesetzten Szenen über starke Frauen in dieser hundertjährigen Geschichte – das hat uns total gut gefallen, weil es auf der einen Seite eben diese Mädchen im Grunde genommen so relativ schablonenartig darstellt und man eben viel die Möglichkeit hat, sich damit in so ein Verhältnis zu setzen – und trotzdem immer wieder Brüche stattfinden. Woher habe ich eigentlich dieses Bewusstsein, wie ein Mädchen zu sein hat, also: Was bestimmt mich eigentlich? Dann gab es diese Idee, dass wir mit Wera Mahne eben ein Stück machen. Mit hörenden und gehörlosen Schauspieler*innen. Der große Wunsch war, dass man kein Stück macht, wo es um das Thema Gehörlosigkeit geht oder um das Thema Hören. Und da war es so, dass diese Mädchen ja sehr viel chatten und der Chat oder Whatsapp, das ist ja auch so ein großes Kommunikationsmittel für Gehörlose. Und natürlich die riesen Thematik der Ausgrenzung. Deshalb haben wir uns für das Stück entschieden. Auch um das Ensemble paritätisch besetzen zu können, also zwei hörende und zwei gehörlose Schauspieler*innen.
Wie habt ihr die SchauspielerInnen gefunden, habt ihr die gecastet oder gab es schon Kontakte?
Janny Fuchs: Es gab schon Kontakte. Unsere eine Schauspielerin Kassandra Wedel – das war ein großer Wunsch von Wera, weil die sehr viele Talente hat auf der Bühne, und natürlich auch ein Star ist in der Szene. Kassandra hatte großes Interesse daran, die hatte vorher auch schon in zwei Theaterproduktionen mitgewirkt. Eine davon auch im Musiktheater. Und Pia Jendreizik, die hatte vorher in anderen Produktionen schon mit Wera zusammengearbeitet. Die kannten sich schon aus einer gemeinsamen Arbeit.
Und habt ihr ein ständiges Ensemble, das immer aus gehörlosen und hörenden Schauspielern zusammengesetzt ist?
Janny Fuchs: Nein, das hat in der Form noch nie stattgefunden. Es war für uns auch ein relativ großer Erfahrungswert. Wenn man erst mal mit neueren Strukturen wieder in so alte Strukturen reingeht, was dann funktioniert und was nicht. Das hat gar nicht so viel mit der Gebärdensprache zu tun, sondern mit der Zweisprachigkeit. Da brauchen wir einen anderen Probenvorlauf. Wir kommen eben nicht mit den klassischen sechs Wochen zurecht. Es ist nochmal eine große Transferleistung, wenn man sagt, man hat den Text für Lautsprache geschrieben, und der wird dann in Gebärdensprache übersetzt. Das ist nochmal ein ganz eigener Vorgang, der auch eine bestimmte Zeit dauert. Es ist so: In der Gebärdensprache gibt es eine Gebärde, die genau passt. Und die zu finden, dass es auch im szenischen Ablauf funktioniert, dass es mit den anderen Texten, die gesprochen werden, funktioniert … das muss man erst entwickeln, also die Übersetzung des Textes in die andere Sprache. Das braucht ein bisschen länger, aber ich glaube wiederum, dass es bei anderen zweisprachigen Produktionen auch der Fall ist.
Hattet ihr Testpublikum, habt ihr das in irgendeiner Form an nicht hörenden Publikum getestet?
Janny Fuchs: Ja wir haben das getestet, allerdings nicht mit so einem großen Vorlauf. Das hat ein bisschen damit zu tun, dass wir sehr viel auf der Probebühne sind. Dann holen wir das Testpublikum erst, wenn wir auf der Bühne sind, so Richtung Endprobe. Eine Woche vorher hatten wir dann verschiedene Testgruppen drin, also sowohl Hörende als auch Gehörlose. Wir sind ja von Anfang an bei der Produktion von zwei Gebärdensprachdolmetscher*innen begleitet worden, die auch den Rohtext einmal übersetzt haben, quasi als Video für die Schauspieler*innen. Und wir haben auch die ganzen Probenprozess begleitet, heißt, im Hinblick auf die Gebärdensprache waren wir relativ sicher und haben dann schnell gemerkt, auch beim hörenden Publikum ist dieser Vorgang, dass man das Gefühl hat, das greift so ineinander, und dass Gebärdensprache eben auch eine wahnsinnig theatrale Sprache ist, die so im Raum funktioniert. Man hat diesen ersten Moment, in dem nur gebärdet wird – dann tritt natürlich eine relativ unbekannte Stille ein im Theater, und man merkt, es weckt eine ganz andere Konzentration. Und das war tatsächlich über alle Altersgruppen hinweg.
War etwas bei der Wahl der ästhetischen Mittel anders als sonst?
Janny Fuchs: Das Bühnenbild ist so gestaltet, dass man von jedem Platz aus sehen kann. Declan Hurley hat ja die Videos gestaltet. Ein sehr künstlerisches Mittel, wo nochmal auch die Übersetzungsleistungen stattfinden, für den Teil, in dem gebärdet wird und nicht gesprochen, aber eben auch für Menschen, die zum Beispiel, die auch nicht hören oder nicht gut hören, aber da können trotzdem nicht alle gebärden. So dass man eben diesen Zwischenbereich auch mit auffängt. Er hat auch mit vielen Bildern gearbeitet, wie es bei der Gebärdensprache auch oft der Fall ist. Das war übrigens auch schon mal eine Besonderheit, weil das Video extrem natürlich auf die sprachlichen Vorgänge auf der Bühne reagiert oder sie unterstützt. Zum Beispiel, dass das Licht größtenteils heller als in einer normalen Inszenierung ist. Wenn man immer alles auf der Bühne sehen muss, sind alle relativ weit vorne, damit man die Gebärden sehen kann. Die Musik, die wir einspielen ist sehr basslastig, damit Gehörlose die Information wahrnehmen können, dass hier Musik abgespielt wird. Genau, dass man die nicht einfach abspielt, sonst ist es nicht zugänglich, dass das jetzt passiert, sondern dass es tatsächlich für alle Publikumsschichten wahrnehmbar ist.
Wie hast du dich darauf vorbereitet. Ich nehme an, das war für dich Neuland?
Janny Fuchs: Ich kannte vorher niemanden, der gehörlos ist, also gebärdet. Wir haben so ein kurzes Treffen gemacht, wo wir uns einfach alle kennengelernt haben und haben angefangen Basics zu lernen. Etwas Smalltalk oder „Wie geht es Dir“. Oder dass wir Feedback geben zu einer Szene, dass wir das lernen und wir haben auch alle das Fingeralphabet gelernt.
Wie lange hat dieser Vorlauf gedauert?
Janny Fuchs: Wir hatten nur drei Tage und dann haben wir einfach immer mehr weiterentwickelt.
Wie kam es zu dieser Entscheidung, zu sagen, man nimmt ein Stück ins Programm, das sich auch an Gehörlose richtet?
Janny Fuchs: Der Wunsch ist natürlich, eine Theaterinszenierung anzubieten, bei der man möglichst sagen kann, es ist eben keiner ausgeschlossen. Das muss man jetzt gar nicht inklusives Theater nennen. Wo man einfach möglichst viele anspricht, ohne gezielt auf die Gruppe zu gehen. Das ist etwas, was sich jedes Theater wünscht, sich da zu öffnen. Und dass es jetzt eben taube und hörende Menschen sind, hat tatsächlich noch viel mit Wera zu tun, die ja selber auch gebärdet, und das ist jetzt ihre dritte Arbeit.
Die dritte, die sich auch an nicht Hörende richtet, aber die erste für Hannover?
Janny Fuchs: Ja genau.
Wie ist es mit der Auslastung?
Janny Fuchs: Die Vorstellung ist immer voll. Wir könnten das hier noch viel länger spielen, weil die Gehörlosen-Community in Berlin natürlich viel größer ist und, glaube ich, ein bisschen agiler. Wir haben in Hannover ja viel Information gestreut. Da hatten wir nicht so einen Zulauf von tauben Menschen. Aber wir hatten durch die Thematik natürlich einen großen Zulauf von den Schulen. Und auch beim Abend-Publikum. Es ist eine Vorstellung, die sehr erfolgreich war. Und wir freuen uns aber wirklich sehr, dass wir jetzt hier den Abschluss machen und eben auch noch vor ausverkauftem Haus mit einem wahnsinnig gut gemischten Publikum sowohl von der Altersstruktur, Fachpublikum, einfach nur interessiertes Publikum und eben hörendes und taubes Publikum. Das ist richtig toll.
Maja Das Gupta wurde in München geboren und lebt in Berlin. Sie ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig, an dem sie Dramatik und Prosa studierte, und der Ludwig-Maximilians-Universität, wo sie ihren MA in Neuerer Deutscher Literatur absolvierte. Seitdem ist sie als freie Autorin tätig. Sie erhielt Stipendien und Preise, u.a. das Stipendium Paul Maar sowie das Kindertheaterstipendium des Frankfurter Kinder- und Jugendtheaterzentrums. Ihre Stücke waren zum Berliner Stückemarkt, dem 2. Wochenende der Jungen Dramatik an den Münchner Kammerspielen, den Schillertagen Mannheim und den Autorentagen des Wiener Burgtheaters eingeladen und wurden an Staats-, Stadttheatern und in der Freien Szene uraufgeführt. Theater Heute nominierte sie als Beste Nachwuchsdramatikerin, ihre Hörspiele wurden bei Radio Bremen, dem SWR, dem RBB, dem WDR und im Deutschlandradio gesendet. Am 22. Juni 2019 wird Ela fliegt auf an der Schauburg München uraufgeführt.