Blog-Kooperation: Festival „Grenzenlos Kultur“ in Mainz (Teil 3)

Teil 3 unserer Kooperation der medialen Art: mit freundlicher Genehmigung von Georg Kasch, Kulturjournalist und Leiter der Blogger*innen-Gruppe bei Grenzenlos Kultur vol. 21, re-posten wir hier Beiträge zum Symposium Theater barrierefrei gestalten – be prepared to make mistakes, das vom 20.-21. September 2019 in Mainz stattfand. Danke euch sehr für die Texte! Diesmal geht es um die Workshops von Wera Mahne, Pia Katharina Jendreizik und Jana Zöll, die während des Symposiums angeboten wurden.


Wo wollt Ihr inkludiert werden?
von Moritz Hebeler

23. September 2019

Jeden Tag wurde Jana Zöll während ihrer Schauspielausbildung an der ADK Ulm von ihrer Mutter die vielen Treppen bis in den zweiten Stock getragen. Erstens, weil es damals noch keinen Aufzug gab. Zweitens, weil sich weder ihre Kommiliton*innen noch die Dozent*innen für sie verantwortlich fühlten. Mittlerweile gibt es immerhin einen Treppenlift – der braucht aber über sechs Minuten um bis nach oben zu fahren und ist ein Sessellift, keiner für Rollstühle. Und das, obwohl die Akademie über Jahre damit warb, die erste Schule Deutschlands zu sein, die Menschen mit Behinderung in der Schauspielkunst ausbildet.

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Jana Zöll in ihrem Workshop über zugängliches Theater © Holger Rudolph

Über diese Problematiken und wo überall in unserem Alltag Barrieren zu finden sind, ging es in Jana Zölls Workshop beim Symposium beim Grenzenlos Kultur Festivals: „Perspektiven wechseln, Barrieren wahrnehmen – Wie könnte ein zugängliches Theater aussehen?“ Schnell wurde in der Diskussion der Teilnehmer*innen klar, dass es Barrieren nicht nur materiell im Alltag gibt, sondern auch sehr viel in den Köpfen. Als ein großes Problem wurde der Umgang mit bestimmten Wörtern und Formulierungen in Medien und Alltag festgemacht. So sollte das Wort „Inklusion“nicht nur auf Behinderungen beschränkt werden, wie es gerade der Fall ist, so Zöll: „Da wird das Wort missbraucht.“ Inklusion sollte für jeden gelten, der in irgendeiner Weise einen Weg in die Gesellschaft finden will.

Außerdem wünscht sich Zöll den faireren Umgang mit Schauspielern mit Behinderung – Künstler*innen sollten nicht aufgrund ihrer Behinderung besetzt werden, sondern wegen ihrer Kunst. Meist bilden Schauspielschulen nach gewissen Stereotypen aus. Unter diesen finden sich aber kaum Rollen für Menschen mit Behinderung, wodurch wiederum ein Nischendenken entsteht. Und dann gibt es noch das sogenannte Cripping up – wenn Menschen ohne Behinderung Rollen mit Behinderung spielen. Nach Jana Zöll sollte es eher ein „Cripping down“ geben: Sie möchte als Schauspielerin in andere Welten eintauchen, nicht auf der Bühne weiter ihre Behinderung zur Schau stellen.

Der erste Schritt, ein Umdenken zu bewirken, liegt laut Zöll in der Ausbildung. Wenn es mehr Künstler*innen mit Behinderung auf den deutschen Bühnen gäbe, würde man es als Zuschauer und vor allem auch als Dramaturg*in oder Regisseur*in nicht mehr als so etwas Besonderes ansehen. Immer noch gibt es viele Barrieren am Theater, sowohl im baulichen Sinn als auch im Service, für die Akteur*innen auf und hinter der Bühne größer als für die Zuschauer*innen (obwohl auch da immer noch nicht das Optimum erreicht ist). Wenn es nur eine Frage des Geldes wäre, diese Dinge zu ändern, sollte man auch schnell höhere Positionen im Theater mit Menschen mit Behinderung besetzen, die einen größeren Wert auf solche Veränderungen legen. Warum nicht mal eine Doppelspitze in der Theaterführung? Nur einer von vielen guten Vorschlägen der Workshopteilnehmer*innen. Abschließend regte Zöll mit einer offenen Frage zum Nachdenken an: Wo wollt ihr inkludiert werden?


Kommunikation auf Augenhöhe
von Lisa Froschauer

23. September 2019

Auf der Präsentationsfolie steht die Aufgabe: keine Lautsprache, keine Gebärdensprache! Stattdessen bekommt man einen Teil eines zusammengehörenden Paares aus Bild und Text. Nun soll man seinen Partner finden, ohne zu sprechen, mit Gesten, Blicken. Ganz schön schwer: Am Ende finden sich gerade einmal zwei Paare von acht.

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Die Workshopleiterinnen Pia Katharina Jendreizik und Wera Mahne © Holger Rudolph

Dieses Spiel ist die Auflockerungsrunde für den Workshop „Taube Dramaturgie – Wie Theater für taube UND hörende Menschen interessant wird“, der von Wera Mahne und Pia Katharina Jendreizik geleitet wird. Mahne ist eine hörende Regisseurin und Jendreizik eine taube Schauspielerin. Gemeinsam haben sie das Stück “FLIRT” erarbeitet, das zum Abschluss des Grenzenlos Kultur-Festivals gezeigt wird. In ihrem Workshop besprechen sie alternative Wege, um die Gebärdensprache ans Theater und auf die Bühne zu bringen. Dabei greifen sie vor allem auf ihre eigenen Erfahrungen durch ihre Zusammenarbeit zurück, fragen allerdings auch die Teilnehmer*innen nach Ideen.

Vor allem braucht es festgelegte Regeln für das gemeinsame Arbeiten, an die sich jeder hält. Sehr wichtig sind hierbei Ruhe und Geduld. Beispielsweise werden hörende Menschen nicht sofort der Gebärdensprache Herr werden. Allerdings sollten sie sich auch die Zeit nehmen, diese zu lernen. Eine große Hilfe ist es, wenn man Sprachräume schafft, in denen klar ist, was erlaubt ist und was nicht. So bleiben die Gespräche fair und es kann nicht zu Diskussionen kommen, in der niemand irgendjemanden versteht, weil alles erst übersetzt werden muss und der Dolmetscher gar nicht mehr hinterherkommt.

Im Theater gibt es schon einige Möglichkeiten, wie man die Gebärdensprache einbauen kann: Unter- oder Übertitel, Übersetzungen in Gebärden- oder Lautsprache, Schattendolmetscher, die den Darsteller*innen auf der Bühne dicht folgen. Nach einer kurzen Diskussion mit den Teilnehmer*innen stellt sich allerdings heraus, dass keiner dieser Wege perfekt ist. Unter- und Übertitel lenken vom Bühnengeschehen ab und Übersetzungen interpretieren möglicherweise etwas hinein, was von den Macher*innen so gar nicht beabsichtigt war.

Die Lösung von Mahnes und Jendreiziks Gruppe? Mehrsprachigkeit zu einem essenziellen Bestandteil der künstlerischen Arbeit zu machen. Durch zwei Sprachen auf der Bühne ergeben sich weitere künstlerische Möglichkeiten, die es vorher nicht gab, wie Stücke wie „FLIRT“ oder „Wach?“ zeigen. Durch eine Zusammenarbeit von Gebärden- und Lautsprache und möglicherweise auch Nicht-Verstehen sind mehrere Standpunkte möglich. Und eine Übersetzung von der einen in die andere Sprache wird nie neutral sein, da sich Lautsprache nicht Eins zu Eins in Gebärdensprache übersetzen lässt. Auch dadurch ergeben sich weitere Spiel- und Interpretationsmöglichkeiten.

Zum Schluss spricht Mahne ein Plädoyer an die Staatstheater: Diese haben die Möglichkeit und finanziellen Mittel, Ressourcen für ein Theater mit Gebärdensprache zu schaffen. Das beginnt schon damit, dass sie gehörlose und taube Menschen auf verschiedenen Ebenen einstellen könnten, vor, auf und hinter der Bühne. Jendreizik würde sich hingegen wünschen, dass mehr hörende Menschen Deutsche Gebärdensprache (DGS) lernen wollen würden. Sie würde ihnen die Sprache als Gebärdensprachdozentin beibringen. Es ist eben ein gegenseitiges Nehmen und Geben, damit man etwas besser machen kann – und Mehrsprachigkeit die ideale Voraussetzung, auf Augenhöhe zu kommunizieren.

Mehr zu “FLIRT”: www.flirt-performance.de

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