Grußwort zum 30. Jubiläum des HELIOS Theater in Hamm
von Stefan Fischer-Fels
1989 war ein wichtiges Jahr in der deutschen Geschichte. Eine Mauer fiel, eine Weltordnung zerbrach, der Kapitalismus besiegte vorerst die Hoffnung, dass der Mensch nicht nur ein Raubtier, sondern frei, gleich und brüderlich sein könnte. Deutscher Meister wurde… der FC Bayern München…
Und wo wart Ihr? Wo wart Ihr, als die Mauer fiel?
Ihr wart dabei, ein Theater zu gründen. Im tiefsten Westen, in Köln. Dort, wo man die Mauer nur vom Hörensagen kennt und die DDR als Mythos oder Schreckgespenst.
Ihr seid jetzt quasi so alt wie die neue, gesamtdeutsche Bundesrepublik. Und im Gegensatz zur Bundesrepublik, die in dem unerhörten Moment 1989 nicht wagte, etwas gemeinsam Neues zu entwickeln, sondern einfach nur einen „Beitritt“ des anderen Deutschlands anordnete – im Gegensatz dazu habt Ihr auch auf den Weg gemacht, um Neues, Unerhörte, Unerwartetes im Theater zu versuchen. Die Zeit war reif für ein Experiment.
Ihr kamt aus dem Puppenspielkontext. Allein das war Ende der 80er Jahre neu und ungewohnt. Ihr habt darüber hinaus aber von Anfang an das Zusammenspiel der Künste zu Eurem Thema gemacht, insbesondere der Figuren- , Schauspiel- und Bildenden Kunst und der Musik. Ihr habt die Grenzen des Literaturtheaters schnell verlassen und Euch Eure Stücke und Inszenierungen auf Pfaden gebaut, entwickelt, erarbeitet, die noch nicht geebnet waren.
Ihr habt Euch auch gerade in den Anfängen programmatisch als ein politisches Theater verstanden. Habt Stoffe über Machtmissbrauch, Mädchenhandel, Wirtschaftskriminalität und Migration gemacht, seid damit durch die Städte, die Kulturzentren und die Schulen getourt. Basisarbeiter*innen, Tourneetheater, das ihr immer geblieben seid, trotz des schönen, hart erarbeiteten Hauses in Hamm. „Welt reinlassen“ war Euer Motto – und „In-die-Welt-Gehen“. Eure Fähigkeit, Bildsprache jenseits des gesprochenen Worts zu nutzen, Eure Neugierde prädestiniert Euch dafür in besonderer Weise.
Also wollen wir Euch heute feiern. Wir feiern Euch für Euren Mut, Neues zu wagen und für Eure Neugier, neue Wege zu gehen – zum Beispiel, aber nicht nur, im Theater für die Allerkleinsten. Wir feiern HELIOS für seinen Mut, als freie Gruppe kontinuierlich für Kinder zu arbeiten. Dazu gehört wirklich Mut – und mich würde wirklich interessieren, ob Ihr, wenn HEUTE 1989 wäre, es wieder wagen würdet?
Ihr seid 1997 aus der Metropole Köln in die westfälische Provinz gezogen und habt dort 2004 dieses schöne Haus bezogen. Heute reden alle über den Gap zwischen Stadt und Land, der politisch und kulturell zur Herausforderung wird. Ihr seid von Groß nach Klein gegangen. Auch das war, vielleicht, visionär: Denn Ihr strahlt aus in die Region, das ist politisch von wachsender Bedeutung und sollte von der Landesregierung unbedingt als Modell für andere Regionen diskutiert und unterstützt werden.
Wir feiern Euch als Kollektiv. Diesen Gedanken strahlt Ihr aus, Ihr lebt ihn und Ihr begeistert Menschen dafür. In Zeiten, in denen das autoritäre Intendantenmodell heftig infrage gestellt wird, könnte man bei Euch lernen, wie es anders geht und besser, wie ein Theater als Kollektiv zu leiten und künstlerisch und menschlich zu entwickeln ist, wie die Stimmen von Vielen zur Stärke werden und nicht zur Last.
Wir feiern Barbara Kölling als visionäre Regisseurin, die Kinder ebenso wie die Künstler*innen, mit denen sie arbeitet, ernst- und wahrnimmt.
Wir feiern Michael Lurse als einen der ersten und ohne Zweifel besten Performer in Deutschland, der dieser Kunst ein Gesicht, einen Körper, eine Seele gegeben hat, lange bevor der Begriff „performativ“ zur Mode wurde.
Wir feiern heute das HELIOS Theater aber auch für sein Durchhaltevermögen. 30 Jahre, das ist ein Lebenswerk, auch wenn es noch lange nicht vorbei ist. Für 30 Jahre werden Menschen gefeiert, die ihr Leben dem Theater gewidmet haben, ihr Leben an die Kunst für kleine Menschen verschwendet, verschenkt und damit auch eine Entscheidung getroffen haben. Z.B. ihrer großen Kunst zum Trotz nicht im Rampenlicht der Presse und der Kultur- oder Kommunalpolitik zu stehen, weil Theater für Kinder immer noch absurderweise um Aufmerksamkeit ringen muss! Ihr habt die Entscheidung getroffen: mehr Arbeit bei weniger Geld, mehr Sinnhaftigkeit bei weniger öffentlicher Anerkennung.
Helios ist der Sonnengott. Er wird mit seiner Machtfülle dem Zeus gleichgesetzt (ein bisschen unbescheiden war euer Theater doch offenbar schon von Anfang an…). Die Aufgabe des Gottes ist es, den Sonnenwagen über den Himmel zu lenken. Seine Geschwister sind die Mondgöttin und die Morgenröte.
Ihr also, Lenker eines kleinen wundervollen Sonnenwagens am Firmament des Theaters, Eltern der Mörgenröte, die für Hoffnung und immerwährenden Neubeginn steht, Brüder und Schwestern der Mondgöttin – Ihr gehört, um es hier nun endlich einmal auszusprechen, zu den großen Göttern unserer kleinen Branche, des Theaters für junges Publikum.
Ihr seid auch Helden am Firmament des „sustainable international exchange“, ich müsste hier mindestens eine halbe Stunde lang auf Euren Kontakt mit Künstler*innen aus Südafrika und Ruanda eingehen, auf Our House, diese wundervolle Produktion, die, wie Eure gesamte innovative Arbeit auf dem afrikanischen und indischen Kontinent, eine unglaubliche Resonanz erfahren hat.
Aber ich möchte zum Schluss noch auf etwas anderes heraus: Ich möchte als ASSITEJ-Betrachter einer deutschen und weltweiten Szene vor allem die Stadt- , aber auch die Landes-Verantwortlichen sehr ernst und liebevoll fragen: Ist Euch bewusst, dass HELIOS einer der bedeutendsten internationalen Botschafter deutschen Theaters in der Welt ist? Es kann sein, dass man in Indien und Ruanda mehr weiß und mehr Wertschätzung gegenüber HELIOS hat als im Ruhrgebiet oder im Westfälischen. Was ich damit sagen will: Schaut auf dieses Theater. Es ist ein Juwel. Behandelt ihn ordentlich, pflegt ihn wie einen besonders wertvollen Schatz. Qualität kostet. Gebt ihnen Mittel und Entfaltungsmöglichkeiten, reserviert 20% des Kulturetats der Stadt für Kinder und Jugendliche. Das Geschäftsmodell HELIOS ist, wie ich gelesen und gehört habe, immer noch prekär, nach 30 erfolgreichen Jahren. Bitte nehmt diese Feier zum Anlass, im Rat der Stadt die Bedeutung von Kunst und Kultur mit Expert*innen neu zu diskutieren. Kinder und Kultur sind die beiden Schlüssel, um eine heftig zerrissene Gesellschaft in Dialog zu bringen. Hier findet Auseinandersetzung mit den Grundfragen des Zusammenlebens statt, hier darf man streiten, ohne sich dabei die Köpfe einzuschlagen. Das braucht der Eisenbahnknotenpunkt Hamm genauso wie die Metropolen Köln, Düsseldorf oder Berlin. Hamm ist kein Umsteigebahnhof, sondern die Stadt, die am Bahnhof ein Juwel beheimatet.
Die ASSITEJ grüsst von Herzen und verneigt sich vor so viel wunderbarer Energie, die seit 30 Jahren strahlt wie eine kleine Sonne. Ihr habt den ASSITEJ Preis 2009 gewonnen und den Theaterpreis des Bundes 2019 und wart für den George Tabori Preis 2011 nominiert als „Impulszentrum des Kindertheaters in Europa“. Gratulation!
In einer Doku werdet ihr gefragt: „Ihr wart immer risikofreudig?“ Die Antwort: „Unbedingt. Wobei man auch schlau sein muss.“
Was für ein schöner Satz, in dem das Geheimnis Eures Erfolgs über 30 Jahre begründet liegt. Wir feiern Euch heute für beides: Eure Risikofreude – und Eure Schläue.
Und jetzt, liebes HELIOS Theater Hamm, liebe Barbara, lieber Michael: Danke. Und lasst nicht nach, erfindet Euch immer wieder neu, bleibt anders, bleibt neugierig und schlau. Nichts anderes brauchen wir in den rauhen Zeiten, die uns bevorstehen. Verändert euch und uns! Wir sind gespannt auf die Zukunft!
Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum! Und danke für das wunderbare Grußwort!
Dr. Kirstin Hartung