Nominierungen 2020: Deutscher Jugendtheaterpreis

Logo KJT-PreisDie Jury für den Deutschen Kindertheaterpreis 2020 und Deutschen Jugendtheaterpreis 2020 hat über die Nominierungen zu den beiden Preiskategorien entschieden:
Am 12. November 2020 werden die Preisträger*innen von der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Franziska Giffey mit den Staatspreisen für Texte des Theaters für junges Publikum ausgezeichnet.

Nominierungen für den Deutschen Jugendtheaterpreis 2020:

Absprung (Spun) (14+)
von Rabiah Hussain (Großbritannien)
aus dem Englischen von Cornelia Enger
henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag, Berlin

Begründung der Jury:

Die Autorin erzählt die Geschichte von Safa und Aisha, zwei unzertrennlichen Freundinnen mit pakistanischen Wurzeln aus East London, die sich an der Schwelle zum Erwachsenwerden auseinanderleben: Safa ist in der Probezeit bei einer Marketingagentur im Stadtzentrum und passt sich immer mehr der weißen Mehrheitsgesellschaft an. Aisha geht als Praktikantin an ihre alte „Ghetto“-Schule zurück.

Der Terroranschlag von 2005 spaltet nicht nur die Londoner Gesellschaft, sondern auch die Freundinnen. Angst, Scham und Schuldzuweisungen bestimmen die Atmosphäre. Und während Safa sich anzupassen versucht, entscheidet sich Aisha dafür, ein Kopftuch zu tragen und Lehrerin zu werden, um junge muslimische Mädchen zur Selbstbestimmung zu ermächtigen. Doch weder der einen noch der anderen gelingt es, in der von Vorurteilen, Rassismus und Hass geprägten Gesellschaft ihre Identität zu behaupten.

Mit pointierten Dialogen entwirft Rabiah Hussain individuelle Charaktere fern von Klischees. Die parallel montierten Erzählpassagen der beiden Figuren verweisen auf die Parallelgesellschaften in den heutigen Großstädten Europas.
Ein dramaturgisch klug konstruiertes Jugendtheaterstück, das ein überzeugendes und bitteres Portrait postmigrantischer Realität zeichnet.


Freie Wahl
von Esther Rölz (Deutschland)
Theaterstückverlag Korn-Wimmer, München

Begründung der Jury:

Es herrscht Notstand – in der Gesellschaft nach der letzten Wahl, nach einem Terroranschlag, nach der Geiselnahme, im Inneren von Menschen. Denise, Tochter einer inhaftierten Dozentin, die mit dem Täter des Anschlags liiert ist, nimmt ihren früheren Lehrer gefangen, um ihn zur Herausgabe von entlastenden Dokumenten zu zwingen. Bruno, verheiratet mit einer Politikerin der Regierungspartei, trägt die Dokumente versteckt bei sich.

Immer wieder nimmt das Geschehen neue Wendungen. Was wie ein Krimi beginnt, entfaltet sich zu einem Gesellschaftspanorama: Die widersprüchliche, undurchschaubare und banale Welt in ein Klassenzimmer gezwängt, eingeschlossen wie die beiden Figuren. Die Autorin spielt mit den verschiedenen sozialen Rollen der Figuren: Alt und Jung, Mann und Frau, Lehrer und Schülerin, werdender Vater und sich abnabelnde Tochter, Geisel und Kidnapperin. Die komplexen Figuren spiegeln die Komplexität der Ereignisse. Und das Publikum wird vom musikalisch-rhythmisch komponierten Text hin- und hergerissen zwischen Mitgefühl, Abwehr, Solidarisierung und Distanzierung, zwischen Verständnis und Irritation.

Das Stück, geradezu hellsichtig bereits 2018 geschrieben, gewinnt Tag für Tag an Aktualität. Nimmt es die Zukunft vorweg oder gibt es noch eine „freie Wahl“?


Rishi
von Kees Roorda (Niederlande)
aus dem Niederländischen von Alexandra Schmiedebach
Theaterstückverlag Korn-Wimmer, München

Begründung der Jury:

Am Anfang steht ein Richterspruch: Der wegen Mordes angeklagte Polizist, der den siebzehnjährigen Rishi bei einer Polizeiaktion auf dem Bahnsteig des Haager Bahnhofs erschossen hat, wird frei gesprochen. Er habe bei der Gewaltanwendung seine Befugnisse nicht überschritten, so urteilt das Gericht.

Im Weiteren öffnet das Stück die Ermittlungsakte: Aussagen von Zeugen, Tatbeteiligten, Freunden und Polizei-Kollegen werden ausgebreitet und ein Kaleidoskop der Perspektiven entfaltet. Das so gezeichnete Bild wird immer komplexer, dichter und fataler: Wieso hielt man Rishi fälschlicherweise für bewaffnet? Warum ist er vor den Polizisten weggelaufen?

Kees Roorda gelingt es, alle Perspektiven so schlüssig und nachvollziehbar anzulegen, dass den Zuschauern ein einfaches Urteil verwehrt bleibt. Er öffnet den Blick auf das Umfeld des Opfers und der Täter und kreiert trotz des ausschließlich erzählenden Gestus große Spannung. Rishi bekommt keine Stimme, das erzeugt eine Leerstelle, die dem Geschehen etwas schmerzhaft Exemplarisches verleiht.

Der Autor stellt ein politisch und gesellschaftlich hochaktuelles Thema in den Fokus seines Stücks, dessen kluge Konstruktion auf die Urteilsfähigkeit seines Publikums setzt und damit einen intensiven Nachhall erzeugt.


Begründungen zum Download: JT_Begründungen_Nominierung
Pressemitteilung: PM_KJT_Preis2020_Nominierungen

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