Willkommen! #wasMirrianneMahnSagt

von Mirrianne Mahn

Ich denke, alle Menschen kennen diese Momente, in denen wir einfach irgendwo anders sein wollen. Man möchte niemandem im Weg stehen, nicht stören und so wenig Platz wie möglich einnehmen.

Für mich war Theater in meiner Kindheit etwas, was ich mit meinen deutschen Großeltern besuchte. Die beiden hatten es sich zur Aufgabe gemacht, mich zu der integriertesten Immigrantin Deutschlands zu machen. Das gehörte zum Allgemeinwissen einer Deutschen, wurde mir erklärt. Und das machte man so. Man ging ins Theater. Ich kam über einige Umwege 1998 aus Kamerun nach Deutschland und wuchs in einem kleinen Dorf im Hunsrück als einziges Schwarzes Mädchen in meiner Schule und eines von vier Schwarzen Kindern im Umkreis von mehreren Kilometern auf. Ich hatte also auch ein großes eigenes Interesse daran, so angepasst und integriert wie möglich zu sein und befolgte den Integrationsplan meiner Großeltern ohne Murren bis ins letzte Detail.

In meinem Fall gehörten zu den Theaterbesuchen auch die Lektüre der gleichnamigen Stücke. Goethe, Schiller und Heinrich Kleist. An Der zerbrochne Krug bin ich dann auch tatsächlich zerbrochen und erklärte zwischen meinen Schluchzern meiner Großmutter, dass ich da einfach nicht durchblickte und die ganze Sache nicht verstand.
Eine befreundete Lehrerin erklärte meinen Großeltern, dass Kleist nicht unbedingt zu dem Stoff gehört, den Elfjährige beherrschen müssen – und das Programm änderte sich dahingehend, dass wir nun „kindgerechtere“ Stücke besuchten: Pünktchen und Anton, Pippi Langstrumpf, Struwwelpeter und auch Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer. Endlich verstand ich, worum es bei den Stücken gehen sollte, fühlte mich aber komischerweise immer noch sehr oft fehl am Platz. Großelterlicher Integrationsplan: fail.

Heute weiß ich, dass ich früher das Theater als Fremdheitserfahrung erlebt habe, was mich unwillkürlich dazu gebracht hat, mein ICH in Frage zu stellen. Ich habe mich in keinem Aspekt des Erlebnisses wiedergefunden oder repräsentiert gefühlt.

Damit möchte ich nicht sagen, dass es Stücke über kleine Schwarze Mädchen geben muss, die aus Kamerun nach Deutschland in ein winziges Dorf im Hunsrück ziehen, eine irrationale Schlangenphobie haben, ihren kleinen Bruder lieben, der Wolfgang heißt – und so viele Widersprüche in sich vereinigen, dass es diesen Blogeintrag sprengen würde –, damit ich mich repräsentiert fühle. Es müssen auch nicht Stücke über junge Frauen sein, die antirassistischen Aktivismus betreiben, Mutter und Unternehmerin sind, Diversitätsentwicklung als Lebensziel sehen und in ihrer Freizeit gerne Bogenschießen und mit Holz arbeiten, damit ich mich repräsentiert fühle.

Ich würde eher sagen, dass es mir darum geht, Theater als Möglichkeitsraum zu begreifen, in dem alles möglich ist und auch alles möglich sein soll. In dem zumindest der Rahmen geschaffen werden sollte, dass Jede*r sich als Teil und dazugehörig begreifen kann.
Heute liebe ich das Theater und die Darstellenden Künste, weil sie eigentlich genau so ein Raum sind. Ein Raum, in dem Geschichten erzählt werden und ich unterhalten werde – auf so unendlich viele Arten, mit so unendlich vielen Möglichkeiten.

Für viele Afrodeutsche Menschen und PoC (People of Color) gehört es irgendwie dazu, sich zu fragen: Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Und wo darf ich sein? Ich denke aber auch, dass sich jeder Mensch besonders in der Kindheit und Jugend die Frage stellt: wo und wie kann und darf ich sein? Und das am Besten, ohne jemandem im Weg zu sein, den eigenen Platz streitig zu machen oder zu stören.

In meiner praktischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im theaterpädagogischen Kontext musste ich leider immer wieder feststellen, dass es immer noch große Leerstellen im Bereich Diversität gibt und sich viele Kinder und Jugendliche auch heute nicht repräsentiert sehen: Sei es auf oder hinter der Bühne, sowie in den Geschichten, die erzählt werden. Hier bedarf es einer grundsätzlichen Diskussion darüber, welchen Anspruch wir als Gesellschaft an unsere Kunst und  Kultur für Kinder und Jugendliche haben und welche Menschen wir erreichen wollen, sollen und müssen: Möchten Kunst und Kultur zukunftsfähig sein und nicht Gefahr laufen, eine Parallelgesellschaft zu werden, müssen sie sich der gesellschaftlichen Diversität stellen, diese repräsentieren. Und dafür braucht es solche Stellen wie die der Diversitätsentwicklungs-Referent*innen, welche mit Feingefühl und machtsensibel ausgeführt werden.

Wollen wir als Gesellschaft, dass Kinder- und Jugendtheater ein Randphänomen im Kunstraum bleibt, in der Peripherie verschwindet – oder wollen wir es als selbständiges Medium in der Mitte der Gesellschaft sehen, wo jedem Kind ein Zugang ermöglicht wird?

Ich will Letzteres.

Jetzt stellt sich dann natürlich automatisch die Frage: Wie kann das geschehen und was muss dafür getan werden? Eine konkrete Antwort darauf habe ich nicht. Ich denke aber, dass ersteinmal gestört werden muss. Die seit Jahrzenten festgefahrenen Abläufe müssen gestört werden. Das Denken, dass in unseren Köpfen feststeckt darüber, was sein kann und was nicht, wie Dinge funktionieren und auszusehen haben, muss gestört werden. Störungen, gute Störungen, notwendige Störungen. Wenn eine Störung passiert, muss kurz innegehalten werden. Man hebt den Kopf, schaut sich um. In dem Moment, in dem geschaut wird, liegt die Chance für Veränderung.

Wie ich am Anfang schrieb, kenne ich diese Momente, in denen ich irgendwo anders sein möchte. Mich fehl am Platz fühle. In meiner neuen Stelle beim KJTZ als Diversitätsreferentin fühle ich mich genau richtig und habe das Gefühl, einen guten Platz gefunden zu haben.

Und zum Schluss noch ein Zitat. Ich finde, sowas kommt immer gut. Dieses ist von einer meiner Lieblingslegenden, John Robert Lewis: „Sometimes you have to get in trouble, good trouble, necessary trouble.“


Das KJTZ hat zum September 2020 einen neuen Arbeitsbereich Diversitätsmanagement eingerichtet: Diversität, verstanden als kulturelle Vielfalt und Mehrperspektivität, ist im Publikum der Kinder- und Jugendtheater Normalität. Dies ist vor allem in urbanen Räumen und Metropolregionen Alltag der Begegnung mit dem Publikum. Das Theater für junges Publikum erreicht – anders als das Theater für Erwachsene – ein Publikum, das die Gesellschaft spiegelt.

Das Kinder- und Jugendtheater agiert mit seinen Strukturen (Institutionen) und Produktionen (Aufführungen) an der Schnittstelle zwischen Kunst als kulturelle Bildung, Öffentlichkeit und Organisationsentwicklung und kann damit – gemeinsam mit seinen Netzwerkpartnern vor Ort – Wege zu einer umfassenden Veränderung erproben. Der Arbeitsbereich Diversitätsmanagement soll in den eigenen Strukturen und Angeboten des KJTZ wirksam Barrieren für die Teilhabe von diskriminierten Individuen oder Gruppen abbauen. Zugleich können so die Potentiale der Darstellenden Künste für junges Publikum auch im Hinblick auf die Öffnung von Kulturinstitutionen allgemein sichtbar gemacht werden.

3 Kommentare

  1. Hallo Mirri – schön das zu lesen !! und ich freue mich sehr, dass du den Job bekommen hast – ich denke auch es ist der richtige Platz für dich und ich bin gespannt auf deine Impulse ! Etwas schade, dass wir nicht zusammen arbeiten – aber mit Ole wird es glaube ich auch gut, Ich hatte eine Anfrage für ISSA geschickt, die sich jetzt terminlich konkretisiert hat für 3.5.2021, wir müssten es auch jetzt schon bald planen, ich hoffe das geht – ich sende sie gleich noch mal. Liebe Grüße Anka

    >

  2. Liebe Marianne,

    herzlich willkommen in der Nachbarschaft!

    Ich bin Sanne Schyns, Schauspielerin im Theaterhaus-Ensemble nebenan und habe mit Vergnügen deinen Artikel gelesen!!

    Ich hoffe, dass wir uns bald einmal kennenlernen und vielleicht ergeben sich auch Möglichkeiten zur Zusammenarbeit…!?

    Glg, Sanne

  3. Der Beitrag heute (08.06.21) im ARD hat mich tief berührt – und ich entschuldige mich für meine Mitbürger – von ganzem Herzen –

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