Es geht um strukturelle Fragen und Transparenz

Mailwechsel zur Mitgliederversammlung und Vorstandswahl 2024 in Frankfurt am Main

Blogbeitrag von Katrin Maiwald und Ali Napoé

Es geht um strukturelle Fragen und Transparenz: Unser Impuls für die Veröffentlichung dieser Kommunikation im Nachgang der Mitgliederversammlung der ASSITEJ e.V. im November 2024 ist sowohl Information als auch eine offene Einladung zur Mitsprache und Mitgestaltung unseres Verbands.

Wir freuen uns u.a. auf eine rege Beteiligung am Mitgliederaustausch zu dem der Vorstand der ASSITEJ am Mittwoch, den 29. Januar 2025 von 13.00 bis 15.00 Uhr per Zoom einlädt. Um euch anzumelden, scrollt auf der verlinkten Seite einmal nach unten. Dort findet ihr dann die Anmeldemaske.

Mail vom 21. November 2024

Betreff:

Liebes ASSITEJ,

Ich möchte zunächst einmal allen neuen Vorstandsmitglieder*innen von Herzen gratulieren und mich bei den „Alten“ für ihre Dienste bedanken.

Ich empfinde für sie großen Respekt und Hochachtung für ihr jahrzehntelanges Engagement und verneige mich davor, Chapeau!

Am heutigen späten Nachmittag ist jedoch das eingetreten, was wir eigentlich dachten aus unserer Mitte überwunden zu haben glaubten, wodurch die Wahl und die Verabschiedungen dann doch einen bitteren Beigeschmack nahmen.

Sowohl die Berichte als auch die Vorträge enthielten inhaltlich den Wunsch nach Diversität, Inklusion und struktureller Veränderung. Ich möchte jetzt nicht in die Details gehen, aber die Wünsche entsprachen in der Handlung nicht den Taten.

Nach der Wahl und die darauffolgende Bemerkung, dass der neue Vorstand eine rein „weiße“ Perspektive nur abbilde, bot es sich an eine Reflexionsrunde zu machen. Unter dem Vorwand von Zeitdruck, wurde diese Möglichkeit nicht wahrgenommen.

Es bot sich an die Struktur in Frage zu stellen im Hinblick auf mehr Raum für Ehrenamtliches Engagement und Diversität im Vorstand.

Es bot sich an Satzungsänderungen zu beantragen, um aktiv zeigen zu können, dass man sich den Zwängen der eigenen Vereinsstruktur bewusst ist und die Veränderung aktiv angeht.

Bei dem Hintergrund, dass bemängelt wird, dass es nicht genug Ehrenamtliche gibt, um die anfallende Arbeit zu bewältigen, finde ich das Nichterweitern dieses Kreises, eine für mich nicht nachvollziehbare Ressourcenverschwendung. Es bot sich nämlich an alle, die sich zum Beisitz beworben haben, anzunehmen damit sie ihre unterschiedlichen Kompetenzen einbringen können, um unser aller Anliegen mehr für Kinder-und Jugendtheater und ihre Akteur*innen zu tun, voranzutreiben. Dieses Angebot wurde nicht angenommen.

Es wurde stattdessen kritisiert, dass die drei POC, die den Mut hatten sich zur Wahl aufzustellen, sich nicht haben einzeln aufgestellt, sondern nur als Trio gewählt werden wollten.

Der Begründung einiger, dass es eine demokratische Entscheidung gewesen sei und diese zu respektieren sei, entgegne ich, dass der politische Rechtsruck auch ein demokratischer Prozess ist und dennoch wir dagegen aktiver vorgehen sollten, wenn wir tatsächlich Meinungsfreiheit, Menschenrechte und Perspektivwechsel anstreben wollen.

Jede*r kennt die Neujahrsvorsätze, die man sich vornimmt und aus x-Gründen letztendlich doch nicht umsetzt. Das besondere Phänomen dabei ist, dass man sich wundert, wieso die anderen einen nicht mehr ernst nehmen. Albert Einstein sagt, Wahnsinn ist es das gleiche zu tun und dabei ein anderes Ergebnis zu erwarten. Die anderen wollen es sehen, bevor sie einem Glauben schenken, sonst halten sie uns für unglaubwürdige Wahnsinnige, die man nicht ernst nehmen muss. Und genau das ist heute meiner Meinung nach zu beobachten gewesen. Man hörte die Wünsche und vermisste die darauffolgenden Taten. Die eigene Bewusstheit über die eigenen Wünsche verblasste gegenüber dem Fehlen des eigenen Handelns.

Auch die Demokratie hat ihre Schwachstellen. „Es ist ein demokratischer Prozess und so hat es zu laufen“ zeigt vieles auf. Zum einen bestätigt es eine Resignation und die fehlgeleitete Wahrnehmung, dass das System unfehlbar ist, und man somit an der Starrheit der Struktur nicht rütteln will. Und zum anderen, dass man nicht an die eigene Wirkungsmacht glaubt die Struktur verändern zu können. Dann ist die Struktur eine Rechtfertigung, hinter der man sich versteckt, weil man die Energieleistung nicht bringen will seine Komfortzone zu verlassen. Ich möchte niemandem schlechte Absichten unterstellen, aber genauso wie auf Allergene oder vegetarisch-veganes Essen bestanden wird, sollte jede*r von uns Diversität vorleben, insbesondere dann, wenn man es auch lauthals fordert, nicht nur auf Podien oder in Anträgen. Ihr Fehlen ist bei der Wahl und dem Umgang danach aufgefallen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Mut gefehlt innezuhalten und sich selbst zu hinterfragen. Brigitte hatte Eingangs gesagt, dass wir alle Suchende sind und da fehlte mir der Mut des Verbandes zu erkunden, welche Möglichkeiten alternative Konstellationen geboten hätten. Es wird an der Struktur festgehalten, auch wenn sie uns kaputt macht.

Abschließend möchte ich äußern, dass ich an die Stärke des Verbandes glaube. Ich wünsche mir, dass mein Schreiben dazu beiträgt, dass alle Mitglieder*innen sich mit den eigenen Is-men auseinandersetzen und wir so unser aller Anliegen vereinen können.

Herzliche Grüße,

Ali Napoé

Mail vom 6. Dezember 2024

Betreff: Antwort & Frage

Lieber Ali,

vielen Dank für deinen Brief vom 21.11., deine Gedanken und deinen Einsatz für uns als Vorstand und unseren Verein als Ganzes! Danke auch für alle Gespräche, deine Offenheit, deine Geduld und dein Dasein in Frankfurt.

Dein Brief hat uns in unserer ersten Vorstandsitzung am Freitag 22.11. sehr geholfen.

Und wir haben uns gefragt, ob du dir vorstellen könntest, deinen Brief in Form eines Blogbeitrags zu veröffentlichen und damit deine Gedanken auch allen anderen Mitgliedern der ASSITEJ zu Verfügung zu stellen?

Lass uns dazu gerne auch telefonieren, wenn du möchtest.

Diese Mail ist neben dieser Frage auch ein erster Antwortversuch:

Wir können deinen Worten kaum etwas hinzufügen, bzw. stimmen in vielen Punkten überein: Es fehlt unserem Verein bisher die strukturell verankerte und intersektional gedachte Zugänglichkeit, Repräsentation sowie der Schutz marginalisierter Positionen.

Die Mitgliederversammlung hat einen „Ist-Zustand“ gezeigt, den wir so auf keinen Fall erhalten möchten und der (noch einmal) deutlich gemacht hat, dass die Priorität auf Machtkritik– besonders im Sinne von Selbstkritik in Bezug auf unsere Privilegien liegen muss. Es sind viele Verletzungen passiert, die wir zutiefst bedauern.

Als neuer weiß positionierter Vorstand wollen und müssen wir uns dieser Situation stellen, wir müssen sie reflektieren, uns selbstkritisch befragen und begonnene Prozesse weiterführen, die Anliegen und Aufträge aus der Mitgliedschaft an uns vorantreiben.

– Das bedeutet die Expertise BIPoc positionierter Kolleg*innen zu erbitten, bzw. unsere Ressourcen dafür zu nutzen, diese einladen zu können.

– Es bedeutet mit unserer Mitgliedschaft in einen erneuten, baldigen Austausch zu kommen, wie wir die Wahlordnung und die Strukturen unseres Vereins so ändern können, dass zeitnah ein diverser besetzter Vorstand möglich ist und aus unserem Sprechen und Wollen konkrete Handlungen und Veränderungen sichergestellt werden können. Gerade sind wir dabei einen ersten Termin hierfür für Jan/Feb 25 zu planen.

– Es bedeutet, dass wir verstärkt an allem, was Awareness und Diskriminierungskritik in unserem Verein betrifft, weiterarbeiten und dass wir weiterhin auch die Projekte des Vereins in diesen Vorhaben unterstützen.

– Es bedeutet, dass wir weiterhin für Ressourcen und Gelder für diese Prozesse kämpfen.

– Es bedeutet, dass wir uns Zeit nehmen müssen und Geduld brauchen werden. Ich habe spontan das Zitat im Kopf „Wenn du schnell gehen willst, geh allein, wenn du weit gehen willst, geh mit anderen.“

Das ist sicher nur ein Ausschnitt von dem, was zu tun ist.

Und es ist klar, dass wir als ehrenamtliche Vorstandsmitglieder unsere Verantwortung annehmen, Vorschläge entwickeln und Vorhaben vorantreiben, aber diesen Prozess und dessen Gestaltung nicht allein bewältigen können. Echte Veränderung muss von allen Seiten kommen und kann, wie du sagst, nur durch gemeinsame Reflexion, gemeinsame Vision, dem Aushalten von Konflikten, der Übung in Respekt und Diskriminierungssensibilität, im Miteinander entstehen.

Deshalb ist es uns so wichtig, mit dir und allen anderen Mitgliedern im stetigen Dialog zu bleiben, mehr Raum für diesen Austausch zu schaffen, um gemeinsam etwas zu bewegen.

Den von dir angesprochenen Entwicklungen der Gesellschaft nach rechts können wir nur gemeinsam etwas entgegensetzen. Dafür benötigen wir alle Stimmen und Kräfte aus unserer Gemeinschaft der Theaterschaffenden für junge Menschen. Wir hoffen, dass es uns im ständigen Dialog miteinander gelingen kann, uns auf gemeinsame Werte und Ziele zu verständigen und diese in der Gesellschaft und gegenüber der Politik stark zu machen und zu verteidigen. Wir hoffen, dass wir über das, was uns verbindet, stetig das, was uns häufig trennt, überwinden können.

Danke, dass du uns einen Spiegel vorgehalten hast. Danke, dass du so liebevoll Kritik geübt hast.

Wir hoffen, unser Dialog geht weiter, denn auch wir glauben an die Möglichkeiten zur ehrlichen Veränderung und an die Kraft dieses Vereins!

Ich freue mich auf deine Antwort und hoffe, es geht dir gut!

Liebe Grüße

Katrin, im Namen aller Vorstandsmitglieder

Ein Kommentar

  1. Liebe Katrin,

    Mit grossem Interesse habe ich die beiden Beitrage gelesen. Bei Augenauf beschäftigen wir uns auch intensiv mit diesem Thema und der magelnden Diversität der Beteiligten im Projekt. Gilt für die Schweizer assitej übrigens auch. Wäre es möglich, dass ich an der Diskussion am Mittwoch dabei sein kann, auch wenn ich nur Shweizer-assitiej Mitglied bin…?

    Liebe Grüsse

    Annette

    >

Hinterlasse eine Antwort zu Annette Rommel Antwort abbrechen