von Charlotte Kösters
Braunschweig, 25. Januar 2019:
Über Heimat mache ich mir selten Gedanken. Noch seltener über meine Heimat. Der Wege ins Theater-Fachtag MAKING HEIMAT, der heute am Staatstheater Braunschweig stattfindet, lädt zu einer Auseinandersetzung mit Heimat ein. Wir sind eine Gruppe von ca. 30 Menschen. Wie die meisten von uns habe ich einen Gegenstand dabei – etwas mitbringen, das ich mit (meiner) Heimat verbinde, so die Aufforderung im Vorhinein dieser Veranstaltung. Ich frage mich nach dem richtigen Zeitpunkt, meinen Gegenstand (wo überhaupt?) zu platzieren. Es ist ja ein Stück von mir, das ich offenbare (egal ob ich es Heimat nenne oder nicht). Wie angebracht ist es eigentlich, Biografisches zu besprechen, gar zur Schau zu stellen, wenn es um Heimat geht?
Wir werden von der Generalintendantin des Hauses, Dagmar Schlingmann, und dem Leiter des Jungen Staatstheaters, Jörg Wesemüller, herzlich begrüßt. Es folgt ein inhaltlicher Auftakt von Rebecca Hohmann, die sich sowohl in ihrer Funktion als Vorstandsmitglied der ASSITEJ als auch als künstlerische Leiterin des Moks Bremen für Wege ins Theater ausspricht und das Potenzial des Förderprogramms betont. Unser heutiges Anliegen – MAKING HEIMAT – entstammt nicht zuletzt der Tatsache, dass das frisch erschienene Jahrbuch der ASSITEJ nach Heimat fragt: „Heimat-Pflege als Theater-Programm?“ Rebecca Hohmann stellt heraus, dass es sowohl im Jahrbuch als auch bei Wege ins Theater um die Positionierung des Theaters in der Gesellschaft geht.
Von Annalena Küspert und Ines Wuttke, denen der heutige Tag seine ebenso liebevolle wie lebendige Rahmung verdankt, werden wir dazu aufgefordert, kleine Gedichte über unsere Gegenstände zu schreiben. Um sich im ersten Schritt selbst im Thema Heimat zu verorten, so heißt es. Ein Versuch, Heimat zu benennen. Nicht ganz ernsthaft, aber doch andächtig verfasse ich ein Haiku über den von mir mitgebrachten Tacker (!). Er ist rund und gelb mit Smiley-Motiv (der ganz einfache lächelnde Smiley, aus einer Zeit vor Emoticons) und wertet die Pop-up-Installation, in der unsere Gegenstände und Gedichte im Anschluss gesammelt präsentiert werden, für mich optisch wie emotional deutlich auf (Zwinkersmiley). Mein liebstes Haiku aus der Kollektion beschäftigt sich allerdings mit einem anderen Gegenstand – es heißt „Ohne kalte Füße“ und geht so:
Waltrauds Socken. Warm.
Extra für mich gestrickte.
Egal wo. Meine.
Wir sind individualistisch geprägt und daran gewöhnt, über uns selbst zu reflektieren, in wie auch immer gearteten Schaffensprozessen das Eigene als Ausgangspunkt zu nehmen, um nicht zu sagen: zu verwenden. Ist das okay oder drehen wir uns dabei zu sehr um uns selbst anstatt um ‚wirkliche Themen‘? Wird das der Komplexität der Welt gerecht? Meine Erkenntnis heute: Es ist okay! Denn es hilft uns Zugang zu Themen zu finden. So bestätigt es auch die mit zwei Mitgliedern und Wohnwagen (!) angereiste Fräulein Wunder AG. Ihr Bericht aus konkreten Wege ins Theater-Projekten zeigt, dass die Ansprache von Kindern und Jugendlichen hierüber funktionieren kann: über das Eigene ins Gespräch kommen, sich infolgedessen für Beziehungen und – das ist uns wichtig – für künstlerisch-ästhetische Prozesse öffnen. Zum Inventar des auf dem Theatervorplatz gelungen platzierten Wohnwagens gehören Riechproben, anhand derer die Fräulein Wunder AG später am Tag Entscheidendes bewirkt: Wir riechen an Essig, Schokolade etc. und assoziieren (schau an, manche von uns können Heimat riechen!)… und über unsere eigenen Geschichten nähern wir uns sowohl einander als auch dem Heimatthema an. Aus einem zutiefst menschlichen Mitteilungsbedürfnis heraus lernen wir uns kennen und machen gemeinsam Heimat.
Ich stelle fest, nicht allein zu sein mit Fragen wie: Wem gehört Heimat? Wie viele Heimaten sind normal? Wie groß ist Heimat? Wie lange dauert Heimat? Wie wichtig ist Heimat?
Für mich ist Heimat nicht so wichtig. Vermutlich weil ich auf eine Weise gut genug damit ausgestattet bin. Ich kann mir sogar Wahlheimaten leisten, und davon mehrere, analog und digital. Mit Heimat verhält es sich unter Umständen wie mit Geld: Es wird erst wichtig, wenn man zu wenig davon hat.
Mit Kultur macht stark und konkret Wege ins Theater sprechen wir Zielgruppen an, die wenig haben. Wenig Geld oder Bildung und vielleicht wenig Heimat. Die Einblicke in die Projektpraxis, die der heutige Fachtag ermöglicht, zeigen: Wer Wege ins Theater geht, kann unterwegs Heimat finden. Dabei ist nicht erheblich, ob Projekte sich explizit mit dem Thema Heimat beschäftigen, sondern auf welche Weise die beteiligten Akteure aufeinander zugehen und inwieweit die Teilnehmenden Raum für individuelle Heimat(-suche) haben. Während drei verschiedene Projekte ausführlich vorgestellt werden, wird für mich mehr und mehr deutlich: Bei Heimat geht es (wie auch beim Theater!) um den Menschen selbst. Das Menschliche steht im Mittelpunkt.
Durch den Nachmittag werden wir maßgeblich von den Theatermenschen Caroline Eisenträger, Carmen Grünwald-Waack, Iris Kleinschmidt, Michael Kranixfeld, Lea Schreiber und Anne Tysiak geführt (Danke!). An einigen Gedankenimpulsen und Überlegungen, die sich in den Präsentationen und unseren Gesprächsrunden ergeben, hänge ich bis weit nach der Veranstaltung. Darunter: Schade, dass der Name unseres Projektes Wege ins Theater nicht den Wunsch mit abdeckt, dass auch Wege aus dem Theater heraus und drum herum führen mögen. Wir wollen mit Wege ins Theater erreichen, dass Kinder und Jugendliche sich Theater erschließen. Zum Teil verlassen sie dafür ihren Sozialraum – sie bewegen sich. Wie logisch erscheint da der Gedanke, dass auch wir Theatermenschen uns bewegen müssen! Aus dem Theater heraus, ja. Nicht jedoch im Sinne einer räumlichen Erweiterung unserer Theater-Heimat oder ihrer Übertragung auf andere Sozialräume, sondern im Sinne einer Entkoppelung des Heimatbegriffs von Räumlichkeit und Hinführung zu einer Kategorie menschlicher Interaktion, des menschlichen Miteinanders.
Den in den Projekten engagierten Betreuungs- und Bezugspersonen kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Verantwortung und Bedeutung zu. Sie bilden nicht nur die Schnittstelle zwischen verschiedenen Sozialräumen alias Heimaten, sondern verkörpern im besten Fall eine Auffassung von Heimat, nach der der einzelne Mensch dem anderen Heimat ist. Heimat kann nur da passieren, wo Menschen sind. Nur über Menschlichkeit können wir aus Heimat eine Perspektive machen.
Und so schließe ich diesen Beitrag mit einem Aufruf: Lasst uns einander Heimat sein!
Charlotte Kösters ist stellvertretende Projektleiterin von Wege ins Theater, das kleine und große Projekte für Theaterentdecker*innen, Theaterspieler*innen und Theatermacher*innen fördert. Rund eine Million Euro stehen in diesem Jahr für Bündnisse vor Ort zur Verfügung. Die nächste Antragsfrist für eine Förderung durch Wege ins Theater endet am 30. April 2019.
Eine Dokumentation des Fachtags wird online zur Verfügung gestellt.