von Nikola Schellmann
Ich will ein Ticket auf der Website buchen und stelle fest: ich bin zu alt.
Die TINCON ist eine Veranstaltung für 13- bis 21-Jährige. Alle über 21-Jährigen haben nur Zutritt, wenn sie sich a) als freiwillige Helfer*innen bewerben, b) eine Schulklasse begleiten oder c) am TINCALL teilnehmen und sich somit als Vortragende bewerben.
Ich bin unentschieden: Exklusivität auf der einen Seite, geschützter Raum auf der anderen. Ich möchte Themen scouten, Vortragende kennenlernen, die Einbettung theateraffiner Themen wie Storytelling via Algorithmen oder via Theater-Games bzw. die Reaktion der Jugendlichen auf Kollektive wie OutOfTheBox oder machina eX sehen.
Aber ich möchte mich nicht über das Alter definieren oder gar ausgrenzen lassen, wenn ich danach frage, welche Themen Jugendliche beschäftigen (und das sowohl aus deren eigener, vortragender Perspektive als auch aus der eine*r Zuhörer*in). Zumal ich mir die Frage im Hinblick auf das Kinder- und Jugendtheater auch oft stelle: sind dieses oder jenes nun Themen für Jugendliche? Sind es NUR Themen für Jugendliche? Wieso sind andere wiederum „für Erwachsene“? Und was genau ist eigentlich „Theater“?
Ich nehme Kontakt mit dem TINCON-Team auf und erkläre mein Anliegen. Und bereits auf dem Weg nach Düsseldorf mache ich den ersten Instagram-Post.
8. März, FFT Juta in Düsseldorf, zwischen Klo und Stage 1: „Hey, dein Lippenstift steht dir krass gut.“
„Also du hast eine total tolle Brille an. Es ist nicht leicht, so eine schlichte, aber schöne Metallrahmenbrille zu finden.“
„Und irgendwann habe ich was von Gwen Stefani gelesen und gehört – und die ist so eine coole Frau, die macht einfach ihr Ding. Das hat mich auch für meine Arbeit inspiriert.“
Gesprächsfetzen, die ich aufschnappe, die mir offenbar im Gedächtnis geblieben sind – die mir (oder vielleicht gerade WEIL sie mir) bereits eine Ahnung dessen vermitteln, was mir gleich als überaus angenehme Stimmung entgegenschlagen soll: Wertschätzung, Offenheit anderen gegenüber, Aufeinanderzugehen, Komplimente, Interesse.
Ich bin auf der teenageinternetwork convention: 2016 fand die erste TINCON in Berlin, 2017 auch in Hamburg und nun 2019 erstmals eine Ausgabe in Nordrhein-Westfalen statt. Die TINCON ist eine Gesellschaftskonferenz für Menschen zwischen 13 bis 21 Jahren. Das FFT Juta bietet dafür die Bühne und verwandelt einen Ort, an dem es sonst um Darstellende Künste für Junges Publikum geht, in zwei Stages, zwei Workshop-Spaces und eine Gaming Area, auf denen Themen wie Künstliche Intelligenz, Netzpolitik, Gaming, Umweltaktivismus, Kultur, Storytelling, Lifestyle, Bildung und noch viele weitere vorgestellt und diskutiert werden.
Bei der TINCON dreht sich alles um digitale Jugendkultur. Die TINCON veranstaltet seit 2016 Events von, für und mit jungen Leuten. Unser Ziel ist es, der jungen Generation und ihren Themen eine größere Öffentlichkeit zu bieten.
Das trifft es perfekt. Ich gebe zu, ich bin hochgradig neugierig – nicht nur auf die Themen, die mich als nicht-digital-Native hoffentlich und offensichtlich überraschen werden (vor allem in technischer Hinsicht). Sondern auch auf die Jugendlichen, die hier in meinen Augen vorbildlich in die Programmplanung und -gestaltung einer jeden TINCON eingebunden werden (in Programmworkshops im Vorfeld, die mehrere Tage dauern, treffen sich Jugendliche mit dem Team). Beim TINCALL kann jede*r zwischen 13 und 21 ein Thema als Speaker einreichen und so von eigenen Aktivitäten, Anliegen oder Projekten berichten und die Community daran teilhaben lassen.
Auf mehreren Ebenen funktioniert dies sehr gut: die Jugendlichen machen sozusagen ihr eigenes Programm, die Vortragenden sind direkt ansprechbar, es wird betont, dass ebenso Ansprechbarkeit dafür vorhanden ist, wenn etwas für jemanden nicht gut läuft. Die Disziplinen sind miteinander verwoben und das merkt man auch – es gibt keinen Vortrag über YouTube oder Instagram, weil das an sich ein interessantes Thema wäre. Aber darüber, wie dort Themen kreiert werden, die einer Klischeebildung entgegenwirken, oder wie sich aus der Funktionalität von Werbung via Facebook oder Instagram ein Geschäft entwickeln lässt.
Das überaus wichtige und unbedingt förderungswürdige Expert*innentum der Jugendlichen wird unterstützt, präsentiert und in Dialog gebracht – und zwar auf einfachste und direkte Art und Weise aus der Zielgruppe in die Zielgruppe. Und spätestens jetzt wird klar, dass dieser Begriff absurd ist, denn warum soll ein bestimmtes Thema nur ein Ziel in einer bestimmten Gruppe finden. Zumindest, wenn es um Themen geht, die gesellschaftlich, kulturell, sozial oder alltäglich relevant sind (ist Klimaschutz nur was für Erwachsene? Und Fake vs. Fakten nur was für Jugendliche? Wie steht es mit Smartphone-Sicherheitschecks?).
Und jetzt, mit dem Blick durch die (Metallrahmen?-)Brille des kulturellen Bildungssektors: die TINCON ist partizipativ, integrativ, kompetenzfördernd und nachhaltig. Das beeindruckt mich sehr. Vielleicht auch deswegen die drei hängengebliebenen Zitate aus dem Flur: die Teilnehmer*innen nehmen sich gegenseitig wahr, entdecken so (unter anderem) Trends, schätzen diese und tragen sie weiter, motivieren und fördern sich gegenseitig durch Erlebnisse oder Begegnungen mit prägenden Persönlichkeiten – und dies wird geteilt. Im besten und nicht nur technologischen Sinne.
Mein nächster Instagram-Post ist schon auf dem Weg.