Autor*innen@ Augenblick mal!: Mehr Theaternebel!

von Christina Kettering


Als Kind hatte ich vor allem Angst. Ich bin auch heute noch ängstlich, aber als Kind war Angst sozusagen meine zweite Haut. Meine Mutter weigerte sich schließlich, mit mir Disney-Filme im Kino anzuschauen, weil ich bei der ersten aufregenden Szene zu weinen anfing und dann bin zum Ende durchheulte. Ich erzähle das nicht, weil ich auf Eure Kosten ein Kindheitstrauma loswerden will, sondern weil auch meine erste Theatererfahrung mit Angst verknüpft ist. Als ich in der Grundschule war, besuchten wir mit meiner Klasse eine Aufführung der Schneekönigin, die als Weihnachtsmärchen lief. Ich erinnere mich an nichts aus dieser Aufführung, außer an den ersten Auftritt der Schneekönigin. Sie erschien aus dem IMG_20190507_151354_777dunklen Nichts in einem weißen glitzernden Kleid, begleitet von düsterem Sound in einer Wolke aus Theaternebel, die nur langsam ihre Gestalt freigab und sich mehr und mehr über den Zuschauerraum ausbreitete. Natürlich fing ich auch dort gleich an zu weinen, und trotzdem – im Gegensatz zu den Disney-Filmen – hinterließ diese Angst einen so starken Eindruck auf mich, dass die Erinnerung daran mich bis heute begleitet – und wahnsinnig positiv besetzt ist. Sobald in einer Inszenierung Theaternebel eingesetzt wird werde ich unkritisch. Ich kann gar nicht genug kriegen davon, der Geruch von Trockeneis macht mich sentimental.

Eigentlich wollte ich über die gesellschaftliche Dimension der schlechteren Finanzierung der Kinder- und Jugendtheater schreiben. Ich hatte mir das alles sehr klug überlegt, natürlich, aber immer, wenn ich versuchte, einen Einstieg zu finden, schob sich das Bild der Schneekönigin im Theaternebel vor meine Augen. Und während ich darüber nachdachte, wie ich dieses Bild für mein Thema zurechtbiegen könnte, wurde der Geruch des Nebels immer stärker und ich dachte, dass es genau das ist. Die ästhetische Erfahrung, die ich dort gemacht habe, war so überwältigend, weil sie so unmittelbar war. Ich roch den Nebel, ich spürte ihn, ich saß mitten in ihm und konnte zusehen, wie er sich verzog. Nicht jedes Kind muss dieselbe Erfahrung damit machen, aber ich will, dass jedes Kind sie machen kann. In den 30 Jahren seit meinem ersten Theaterbesuch haben sich neben dem Weihnachtsmärchen viele Ästhetiken und Themen entwickelt; Erzählweisen und Formen sind so vielfältig geworden, dass man von ‚dem‘ Kindertheater längst nicht mehr reden kann. Oft begegnet mir eine große Freude an dem weiteren Ausloten ästhetischer und inhaltlicher Grenzen.

Und dafür braucht es – Achtung: jetzt kriege ich die Verbindung nämlich doch noch hin – mehr Geld. Damit noch mehr experimentiert werden kann, noch mehr ästhetische Vielfalt entstehen und mehr Kinder unterschiedliche (positive) Schockmomente haben können – und mehr Theaternebel.


Christina Kettering, geboren 1980, studierte Dramatik und Prosa am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Seither schreibt sie Theaterstücke und war u.a. Teilnehmerin beim Stückemarkt der Berliner Festspiele, beim Forum Junger Autoren der Biennale Neue Stücke aus Europa und dem Kaltstart Festival Hamburg. 2015 und 2017 erhielt sie das Stipendium Nah dran – Neue Stücke für das Kindertheater. Mit Weiß ist keine Farbe ist sie 2017 zum Frankfurter Autorenforum eingeladen und 2018 für den Mülheimer KinderStücke-Preis nominiert. Keine Lieder wurde 2018 mit dem Kinder- und Jugendtheaterpreis kaas&kappes ausgezeichnet. Mit Anna Konjetzky entwickelte sie im Auftrag des Stadttheater Heilbronn das Stück Running an der Schnittstelle von Schauspiel und Tanz. Ebenfalls 2018 erhielt sie ein Stipendium des Künstlerdorfs Schöppingen. Zurzeit arbeitet sie an einem Auftragswerk für das Stadttheater Gießen sowie das Comedia Theater in Köln.

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