von Anna Eitzeroth
Es ist ein ungewöhnliches Jubiläum – wo andere Kulturinstitutionen feiern, sich loben und loben lassen und stolz auf das Erreichte verweisen, wählt das Junge Nationaltheater Mannheim zu seinem 40jährigen Jubiläum einen anderen Fokus: Hier geht es um die Herausforderungen der Gegenwart und darum, was in Zukunft zu tun ist. Im Projekt „HAPPYLAND“ hat das Team zweieinhalb Wochen mit einem Wohnwagen in verschiedenen Stadtteilen campiert und ist mit Mannheimer*innen ins Gespräch gekommen. „Wer spricht?“ war die Leitfrage und der Projekttitel HAPPYLAND formuliert das darunter liegende Thema. Tupoka Ogette, Autorin des Buchs „exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen“ erklärt den Begriff folgendermaßen:
„Das ist ein Bewusstseinszustand, in dem weiße Menschen glauben, dass Rassismus ein Randthema sei, welches nichts mit ihnen selbst zu tun habe. Sie denken, dass es reicht, sich eindeutig antirassistisch zu positionieren, damit das Thema vom Tisch ist. „Happyland“ sorgt dafür, dass Menschen Rassismus reproduzieren, ohne dies wahrzunehmen. Sie sind sich nicht bewusst, Teil des Problems zu sein und können deshalb auch nicht Teil der Lösung werden.“ (Quelle: https://sagwas.net/wir-alle-sind-rassistisch-sozialisiert/ Zugriff: 02.10.2019).
Die Erinnerungsprotokolle aus Gesprächen, die im Projekt HAPPYLAND geführt wurden, zeigen, wie persönlich der Erfahrungsaustausch zwischen Besucher*innen und Theaterteam waren:
„…HAPPYLAND beschreibt einen Zustand, in dem wir leben. Die privilegierte weiße Mehrheitsgesellschaft. Ja und das bin ich auch und die Erkenntnis tut mir weh. Ich will nicht zu den Privilegierten zählen, tue es aber. Ob ich will oder nicht. Ich werden nicht aufgrund meiner Herkunft oder meiner Hautfarbe benachteiligt. Ich weiß auch nicht, wie es sich anfühlt. Ich erkenne, was das für ein bedeutendes Privileg ist“ (weibliche Besucherin beim Theaterfest).
Am Jubiläumswochenende, mit dem auch das Projekt HAPPYLAND abschließt, wird zu Theaterfest, Vorstellungen, Party und Diskussion eingeladen. Bei JOIN: Junger Diskurs „Wer spricht?“ darf jeder einen Vortrag halten, und dadurch werden unterschiedliche Perspektiven sichtbar: u.a. ein Kind, ein Theaterkollektiv, eine Schwarze Aktivistin, eine Regisseurin, ein junger Mann mit Fluchterfahrung, ein Theaterzuschauer im Rollstuhl, zwei Gebärdendolmetscher*innen und ein Mitglied eines Theaterensembles aus professionellen Schauspieler*innen mit so genannter geistiger Behinderung kommen zu Wort und bringen ihre Perspektiven ein. Im kurzen Austausch zwischen den Vorträgen komme ich mit Menschen ins Gespräch, die ich sonst nicht kennen gelernt hätte, zum Beispiel mit einer jungen Frau, die noch nie eine Theatervorstellung erlebt hat, aber im Zuge der Diskussion Lust darauf bekommen hat. Jede*r Vortragende bekommt ein kleines Geburtstags-Törtchen und darf sich etwas für die Zukunft des Theaters wünschen. Am darauffolgenden Nachmittag werden Themen aus den Vorträgen zur vertiefenden Diskussion ausgewählt und in unterschiedlichen Formaten diskutiert. Auch in den Diskussionen werden Wünsche für die Zukunft formuliert. Alle Wünsche werden auf Zaunlatten geschrieben, da es darum geht, Barrieren abzubauen und den Zaun um HAPPYLAND einzureißen. Daraus entsteht ein Wunsch-Latten-Baum, der zum Abschluss an Ulrike Stöck, die Intendantin des Jungen Nationaltheaters und Brigitte Dethier, die Vorsitzende der ASSITEJ übergeben wird. Die Wünsche machen deutlich: Es müssen noch viele Barrieren und Vorurteile abgebaut werden, um denen, die an diesem Wochenende im Jungen Nationaltheater zu Wort gekommen sind, dauerhaft Teilhabe und Mitgestaltung in Theater- und Kulturinstitutionen zu ermöglichen und den Zaun wirklich einzureißen. Aber es lohnt sich, denn der Abriss bedeutet eine Bereicherung der künstlerischen Vielfalt und des Theaters als Ort der gesellschaftlichen Diskussion.
HAPPYLAND Künstlerische Leitung: Sebastian Reich; Assistenz künstlerische Leitung: Melanelle Hémêfa, Seda Keskinkilic-Brück; Von und mit: Team Junges NTM; In Kooperation mit: Quartiersmanagement Hochstätt, Umoja!, Ursula Frenz BBMB, Neckarschule Mannheim
JOIN: Junger Diskurs »Wer spricht?« wurde in Kooperation mit dem Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland und der Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen der Stadt Mannheim durchgeführt.