von Meike Fechner
Das griechische Alphabet ist derzeit präsenter als sonst. Und an anderer Stelle reden wir darüber, warum und in welcher Weise klassische Bildung, akademische Bildungswege, privilegierte Herkunft und ökonomisches Kapital über gesellschaftliche Teilhabe entscheiden und wie wir das ändern können. Aber jetzt bin ich hier – mitten in der Pandemie mitten im Festival panoptikum und ich kann kaum beschreiben, wie schön (!) das ist.
Also will ich für diesen Beitrag die Herangehensweise versachlichen und schlage im Thesaurus (Griechenland lässt grüßen!) nach:
panoptic (adjective)
permitting the viewing of all parts or elements
Und schon bin ich wieder bei meinen Gefühlen, denn die Definition bringt das Festivalerlebnis auf den Punkt: Wer hier ist, sieht und erlebt alle Elemente des Theaters. Kopräsenz auch im Foyer, Applaus, Kinder und Kolleg*innen als Körper im Raum mit Hunger, Durst, Müdigkeit, Ideen und Fragen, mit Familien und Anekdoten von der Reise, die Suche nach der Spielstätte, Jacke an, Jacke aus, die Suche nach dem Ladekabel im Rucksack beim Zwischenstopp im Café, Maske auf, Wärme, Kälte, die Gespräche anderer im Vorbeigehen, Künstler*innen während und nach der Vorstellung, beim Aufbau, Abbau, Frühstück.
Die Aufzählung könnte weitergehen.
Kurz: Es ist schön! Und es ist wichtig.
Alle sind erschöpft. Die Festivalmacher*innen sind froh über jede Vorstellung, die wie geplant stattfinden kann: wegen der geringen Platzkapazitäten und der Vorgabe, dass Gruppen aus unterschiedlichen Schulen nicht gemischt werden dürfen, wurden viel mehr Vorstellungen ins Festival getaktet. Die Vorgaben ändern sich noch im Festival andauernd. Planen ist so schwierig wie nie. Umplanen und Absagen sind Alltag. Eine Theatermacher*in spricht von den „Absageleuten“ an ihrem Haus, die es besonders schwer haben. Aus Möglichmacher*innen und Vermittler*innen sind Absager*innen geworden. Sinnbildlich und traurig ist diese Momentaufnahme. Lieber keine Details an dieser Stelle, sondern einfach Dankbarkeit und Respekt für alle, die seit zwei Jahren immer wieder alles möglich machen. Mit schon jetzt gekürzten Mitteln. Ohne Ausgleich der Einnahmeverluste. Mit dem Gefühl, von der Politik – wie Kinder und Jugendliche auch – schnell übersehen zu werden.
Wolfgang Stüßel, stellvertretender Vorsitzender der ASSITEJ, durfte zur Eröffnung sprechen und weiß, dass wir jetzt – noch lauter und deutlicher – der Politik vermitteln müssen, dass das Theater für junges Publikum Unterstützung braucht, gesehen und gefördert werden muss. In seinem Grußwort sprach er von panoptikum als „Schatz“ für Stadt und Region:
„Sie haben seit dem Jahr 2000 ein Festival von enormer internationaler Ausstrahlung. Gastfreundschaft und Qualität, die Nähe zum Publikum und eine Vernetzung mit vielen Kulturorten in der Stadt schaffen ein einmaliges Forum für die Begegnung mit Theaterkunst!
Lassen sie mich ein Beispiel erzählen. Ich hatte das Glück auf dem ASSITEJ-Weltkongress in Warschau und Kapstadt dabei zu sein und wenn es auf das Gespräch kam, das ich aus „Germany“ komme, hieß es „oh, yeah, I`ve heard about Nuernberg panoptikum“ oder „yes I have been to Nuernberg panoptikum“. Jede*r kannte panoptikum!
Und dieser wertvolle Schatz für die Stadt, das panoptikum-Festival, bedarf der besonderen Würdigung! Denn dieses Festival wird gestemmt und getragen durch sehr viel Engagement, Herzblut und auch Ehrenamtlichkeit des freien Theaters Mummpitz. Unermüdliches Engagement seit 22 Jahren!“
Und weil Wolfgang Stüßel das Team erwähnt hat, möchte auch ich meinen Beitrag mit einem rauschenden Applaus für die Macher*innen des Festivals enden lassen und zwei Personen hervorheben, die mit dem Festival und der ASSITEJ in ganz besonderer Weise verbunden sind:
Andrea Erl als Leiterin des Theater Mummpitz war gute 20 Jahre im Vorstand der ASSITEJ, viele Jahre auch Stellvertretende Vorsitzende, immer die Stimme der Freien Theater im Verband, immer mit der Spurensuche auf dem Weg zu neuen Formaten, immer den Kolleg*innen in Europa verbunden und verbündet. Als Festivalmacherin und Gastgeberin hat sie ungezählte Treffen des internationalen ASSITEJ- Vorstands, der deutschsprachigen ASSITEJ–Zentren, der AK-Sprecher*innen, Diskussionen und ASSITEJ-Werkstätten im Rahmen des Festivals ermöglicht. Brigitte Dethier nutzte das festliche Miteinander beim Festival für einen persönlichen Dank!
Cathrin Blöss hat panoptikum von Beginn an nicht nur organisiert, sondern auch geprägt. Cathrin hat Augenblick mal! und Schöne Aussicht, die Werkstatt-Tage, die Spurensuche und weitere Festivals organisiert. Mehr Expertise geht nicht. Keine Frage bleibt da unbeantwortet und keine Frage bleibt ungestellt. Es gibt wunderbare Anekdoten über die Organisation von Gastspielen beim ersten Festival Augenblick mal! (1991!), mit Telefon, Brief, Fax, über Reisen, Unfälle, Ausfälle und die großen Erfolge, wenn Gastspiele auf ihr Publikum treffen, wenn Künstler*innen einander begegnen, wenn Cafés und Foyers, Festsäle, Eisbahnen, Kirchen, ganze Stadtviertel und viele andere Orte mit Kunst und Gesprächen gefüllt sind, die nachwirken.
2022 ist kein Abschied, nicht von Andrea Erl, obwohl sie nun nicht mehr im ASSITEJ-Vorstand ist, und nicht von Cathrin Blöss, obwohl sie nun das Festival panoptikum in andere Hände gibt, aber es ist schon ein Anlass für eine fröhliche und dankbare Rückschau und den – oben schon angekündigten – rauschenden Applaus – und der war „in echt“(!) zu hören im Foyer des Theater Mummpitz am Samstag Abend.
Danke für alles und danke für dieses Festival am Beginn des Jahres 2022!
Vorfreude:
Ein weiterer Blog-Beitrag folgt in den nächsten Tagen aus dem New Generation-Projekt im Festival: Journalist Manfred Jahnke begleitet zwei Volontär*innen der Nürnberger Nachrichten auf ihrem Weg in den (Kultur-)Journalismus und in die Theaterkritik.