Gemeinsam in die Zukunft

Über Generationen, über Kommunikation und eine geteilte Welt nachdenken

von Christoph Macha


Helsingborg, Schweden, Festival BIBU — Biennale der darstellenden Künste für Kinder und Jugendliche, Artistic Gathering der ASSITEJ, Mitte Mai 2022.
Wir befinden uns im Aktivitätshaus „Druckerei“ in Drottninghög. Der Stadtteil wurde in den 1970ern aus dem Boden gestampft, im damaligen Wohnungsprogramm der schwedischen Regierung, das Viertel ist ein Plattenbauviertel, ein hoher Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte(n) lebt hier. Der schwedische Passant, den ich nach dem Weg frage, warnt mich vor hoher Kriminalität. Auf den Straßen sehe ich keine Menschen, die Sonne scheint und das Viertel scheint frisch renoviert.

v.l.: Wolfgang, Moussa, Annika. Foto: Julia Dina Heße

Tatsächlich findet der Workshop der deutschen ASSITEJ zum intergenerationalen Dialog über eine faire Zukunft für alle in einem Jugendzentrum statt. Die ehemalige Druckerei ist groß mit verschiedenen Räumen. Hier sehe ich Menschen, die zusammenarbeiten, die miteinander in den großen, offenen Räumen sprechen, lachen und nachdenken. Im „Mattenraum“, einem Betonraum mit unzähligen Teppichen an den Wänden und einem gepolsterten Boden für Taekwondo-Übungen findet unser Workshop statt. Initiiert von Julia Dina Hesse, Mitglied des deutschen ASSITEJ-Vorstands und ebenso im internationalen Vorstand, wollen wir gemeinsam über die Zukunft nachdenken. Aber wie geht das eigentlich? Drei Menschen aus verschiedenen Generationen mit unterschiedlichen Herkünften, Herangehensweisen und Geschichte sind geladen. Da ist Annika, 18 Jahre, aus Deutschland, Bochum, Mitglied der Drama Control am Jungen Schauspielhaus. Da ist Moussa, Anfang 40, aus dem Senegal, Künstler und Theaterpädagoge. Da ist Wolfgang, Ende 60, aus Deutschland, langjähriger Vorsitzender der deutschen und internationalen ASSITEJ, Professor und jetzt weiterhin ein großer Denker. Sie berichten den internationalen Gäst*innen unser Runde von ihren Leben und ihren Gedanken zu den Fragen nach Generationen, intergenerationalem Dialog, sie stellen Fragen und stoßen an. Die Wahrheit ist am Ende des 90minütigen Workshops ganz klar, es gibt mehr Fragen als Antworten, die Antworten sind individuell und verändern sich wohl permanent. Spannend ist der Dialog miteinander.

Annika stellt am Anfang ganz deutlich fest, dass wir als unterschiedliche Generationen eine Gegenwart teilen. Unsere Vergangenheiten sind andere, jede Generation hat anderes erlebt, ist anders geprägt, aber im Hier und Jetzt sind wir zusammen und müssen miteinander reden. Im Theater für das junge Publikum bedeutet das vor allem, dass sie sich Produktionen und Arbeiten wünscht, die wirklich für junge Menschen gemacht sind, keine die  Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend der Theatermachenden sind. Sie fordert selbstbewusst und klar, dass wirklich junge Menschen in den Arbeiten verwickelt werden, dass sie wirklich beraten und eben so die Produktionen direkter mit der Lebensrealität einer aktuellen Kinder- und Jugendgenerationen andocken. Ich frage mich kurz, wie das konkret aussehen kann. Natürlich sind Kinder- und Jugendbeiräte an Theatern eine mögliche Antwort. International machen sich viele Kolleg*innen mit ähnlichen Konzepte dazu auf, z. B. das Festival Big Dreamers in Worcester, welches von Co-Design spricht und ein Sechstel des Festivalbudgets an die Programmgestaltung durch Jugendliche abgibt. Annika berichtet von der Offenheit gegenüber der Drama Control und der Lust der Mitbestimmung.

Kunst als Mittler zwischen den Generationen, das beschreibt und fordert Moussa. Er arbeitet im Senegal abwechselnd mit Gruppen aus „reichen“ Gegenden und „armen“; schon innerhalb einer Generation geht es ihm um Dialoge über Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Wie können Menschen zusammenkommen, wie können Gespräche und Begegnungen initiiert werden, wie aus Gesprächen wirklich Zusammenhänge werden? Dabei geht es ihm darum, mit Kindern gemeinsam und ausgehend von ihren Interessen ernste, große, politische und gesellschaftliche Themen aufzugreifen. Auch hier zeigt sich, dass wir – egal wie alt – in einer Welt leben, und dass er viele Kommunikationsfragen zwischen Europa und Afrika sieht.

Wolfgang lädt ein zum Nachdenken über die Phasen der Aufklärung (der englische Begriff „enlightenment“ ist dabei viel passender, scheint mir). Wir hören von der 1. Aufklärung im klassischen Verständnis des 17. und 18. Jahrhundert, aber auch von der 2. Aufklärung um 1968 in der westlichen Welt. Was könnte eine dritte Erleuchtung sein? Was hat die Zukunft zu bieten, wenn wir gemeinsam nachdenken? Es geht und ging dabei um Solidarität und das eben vor allem zwischen den Generationen, fordert er. Er ist ganz nah an Annikas Gedanken von geteilter Gegenwart dran. Darauf macht auch das Theater für junges Publikum permanent aufmerksam, darum geht es in dieser Kunstform.

Später im Gespräch steigen die Teilnehmer*innen aus Italien, Finnland, Polen, Frankreich und Taiwan ein. Emily aus Frankreich ergänzt den Gedanken der geteilten Gegenwart, der uns vereint, aber trotzdem müssen wir unsere Gegensätze und Unterschiedlichkeiten beachten. Wir haben andere Bedürfnisse, wir haben andere Blicke; auch sie betont, dass das Theater ein Ort sein kann, der uns zusammenführt. Eine Stärke, die wir – durchaus im Wortsinn – ausspielen müssen. Moussa beschreibt das ähnlich, die Blicke der Generationen sind interessant und wir müssen genau hinschauen, durch was die Menschen blicken, das ist eben bei „jungen“ Generationen das Smartphone, und was sie sehen. Wer heute jung ist, wird anders sozialisiert, aber an sich erleben wir das Gleiche. Dass auch Körper sich verändern und sich erinnern, ist ebenfalls ein Thema. Und Annika ergänzt, dass „die“ Erwachsenen aufhören müssen ihre Vergangenheit oder das Jungsein im Allgemeinen zu romantisieren und die jetzige Generation für ihren andren Umgang mit Medien zu kritisieren, am Ende geht es eben nur darum und das müssen wir verstehen: „Wir schauen alle auf die gleiche Welt.“


Der Workshop „Inter-generational: A dialoge on fairness for future“ fand am 18.05.2022 im Aktivitetshuset Tryckeriet in Helsingborg statt und war Teil des ASSITEJ Artistic Gathering bei BIBU – Biennial performing arts for children and youth.

Christoph Macha ist Teil des Vorstands der ASSITEJ Deutschland. Er ist Chefdramaturg am Landestheater Eisenach.

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