SPURENSUCHE: Tag 4

München, am Mittwoch, 22. Juni 2022, 9 bis 16 Uhr, später im Zug quer durch Deutschland.

4 Gefühle.

Es ist der letzte Tag. Aber das sollt ihr ihm nicht anmerken. Wir haben den Anspruch, unsere letzten gemeinsamen Stunden ebenso gesellig, interessant, künstlerisch und angenehm zu gestalten, wie ihr die SPURENSUCHE schon in den ersten Tagen erlebt habt. Doch diese Tage waren intensiv und haben an Teilnehmenden wie Organisierenden gezehrt. Einige schaffen es nicht pünktlich zur Aufführung um 10 Uhr und auch die Aufführenden von Theater X brauchen noch einen Moment länger für ihre Vorbereitungen. Dann, im Anschluss an das Inszenierungsgespräch, wollen viele noch weiterreden, Kaffee trinken und Kekse essen. Also starten wir mit einer satten Verspätung in das letzte digitale Panel. Das tut uns sehr leid, denn wir wissen, wie langweilig es ist, in einem Zoom-Warteraum rumzuhängen. Und während wir so gut es geht, den letzten gemeinsamen Stunden produktive Gedanken abzuringen versuchen, rutschen eben diese auch schon hin und wieder nach Hause zu unseren Familien, zur Wäsche, dem nächsten Job oder zum Weltgeschehen. All das war in den vergangenen Tagen wie ausgeblendet und fordert uns nun zurück – ob wir wollen oder nicht. Denn aus Sicht des Organisationsteams können wir sagen: Wir sind zusammengewachsen und gemeinsam abgetaucht. Wir sind eine kleine Festival-Familie geworden. Wir waren Hand in Hand mit vollster Konzentration damit beschäftigt, Spuren zu suchen. Wir können nur hoffen, dass ihr als Künstler*innen und Teilnehmende euch ebenso wohlgefühlt habt in unserem Kreis. Denn wir haben diese Gemeinschaft, ihre Gespräche, Gedanken und Geselligkeit sehr genossen und wertgeschätzt. Daher möchten wir an dieser Stelle allen, die uns analog wie auch digital begleitet haben, danke sagen!

Nun wisst ihr, was der Post-Festival-Blues ist: Produktionsdruck. Heimweh. Abschiedsschmerz. Dankbarkeit.

Foto: Cordula Treml

4 Perspektiven.

Und damit blicken wir zurück auf eine SPURENSUCHE, die sich einem Perspektivwechsel verschrieben und mehr Diversität im Freien Kinder- und Jugendtheater gefordert hat. Das Angebot, das wir hierfür in diesem Jahr geschaffen haben, war, die folgenden Blickwinkel einzunehmen oder speziellen Bedürfnisse zu bedenken: Queere Identitäten. Adultismus und Ableismus. Theater erlebbar gestaltet für taube Menschen. Theater erlebbar gestaltet für blinde Menschen. Und nicht zu vergessen: All das für, von und mit Kindern und Jugendlichen! Um dies nicht nur in intellektueller, sondern auch in ästhetisch wahrnehmbarer Form anzubieten, war Theater X als zweite künstlerische Position geladen. Wir sahen am Mittwochvormittag ihr Gastspiel „ACT OUT! Die Geister, die uns riefen“ – und zwar als Festival-Version mit „shadow interpreting“, einer Echtzeit-Übersetzung in Gebärdensprache, die dank Gudrun Hillert und Christian Pflugfelder auf feinsinnig künstlerische Weise auch die Charaktere der Figuren, atmosphärische Motive und Musik oder andere Bühnengeräusche für unser taubes Publikum transportiert hat. Das Ergebnis war beeindruckend – sowohl für Menschen, die auf die Übersetzung angewiesen sind, wie auch für jene, die zum ersten Mal eine gedolmetschte Theateraufführung (dieser Art) gesehen haben. Zudem hatten die jungen Menschen des Berliner Community Theaters erst am Vorabend nur drei Szenen mit den Dolmetscher*innen geprobt. Zusätzlich waren drei Schauspieler*innen krankheitsbedingt verhindert und mussten als Video eingespielt werden. Doch nicht nur unter Berücksichtigung dieser Umstände, die allen Beteiligten viel Spontanität abverlangt haben, war „ACT OUT!“ eine beeindruckende Darbietung. Im Inszenierungsgespräch bemerkten die meisten den Mut der Jugendlichen, ihre persönlichen Geschichten und Identitäten auf der Bühne zu zeigen und gleichzeitig künstlerisch zu abstrahieren. Das Zusammenlegen der letzten großen Pandemien der Menschheit, HIV- und AIDS-Krise in den 1980ern und die Corona-Pandemie der 2020er Jahre, war ein ebenso bewegender Moment. Letztlich hat es gezeigt, dass sich gesellschaftlich seit den 80ern weder am Gesundheitssystem, an der Stigmatisierung von vermeintlich „Pandemie-verantwortlichen“ Personengruppen noch an der Machtverteilung in Sachen Impfstoff-Verfügbarkeit etwas getan hat. Die inhaltlichen Aspekte hätten wir noch genauso lang weiter diskutieren können wie die theaterpädagogischen, produktionsästhetischen und inszenierungstheoretischen.

Foto: Cordula Treml

4 Fragen.

Doch dann mussten wir auch schon in das letzte Panel starten. Bei einem Mittagsimbiss hat uns die Geheime Dramaturgische Gesellschaft erneut zum Austausch angestiftet. So haben wir also die vier großen Fragen diskutiert:

  1. Was fandet ihr so gut, dass es erhalten bleiben und aus diesem Jahr in die nächste SPURENSUCHE transferiert werden soll, und was hat dieses Jahr (noch) nicht gut funktioniert?
  2. Welche Zugänglichkeiten soll die nächste SPURENSUCHE gewährleisten, beispielsweise Kinderbetreuung?
  3. Braucht das Arbeitstreffen einen Fokus – sprich: Sollte sich die SPURENSUCHE auf eine Community konzentrieren, anstatt maximale Diversität anzustreben?
  4. Nach welchem Prinzip soll die Diversität im umsetzenden SPURENSUCHE-Team hergestellt werden und wie entscheidend ist das für die Konzeption des Arbeitstreffens vorab?

Als nächstes finalisieren wir die filmische und die fotografische Dokumentation. Auch einen weiteren resümierenden Text hier im Blog wird es noch geben – mit etwas zeitlichem Abstand. Also stay tuned. Sowohl eure Wortmeldungen im Panel 4, als auch eure schriftlichen Anmerkungen auf Karten, Türen, Wänden und Bierdeckeln werden wir in die Planung der nächsten SPURENSUCHE einfließen lassen. Kuchen und Eis zum Nachmittagskaffee sind schon mal vermerkt. Also: Save the Date!

SPURENSUCHE | Das Arbeitstreffen der Freien Kinder- und Jugendtheater
8. bis 11. Mai 2023
PATHOS Theater München

Foto: Cordula Treml

4. Tag.

Trinkspruch des Tages: Darauf eine Ahoi-Brause … mit Ouzo! (Kleiner Insider-Witz, Entschuldigung!)

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s