Wie der Wind aus Süden weht

Zweimal musste es verschoben werden, das Bayerische Theatertreffen für junge und junggebliebene Menschen, aber nun konnte SÜDWIND stattfinden: vom 29. Juni bis 8. Juli 2022 war es soweit. Mit Rampen und selbstgebastelten Stühlen feierte man am Stadttheater Ingolstadt ein großes Fest: zehn kuratierte Inszenierungen – ausgewählt von Julia Dina Heße, Julia Mayr und Kristo Sagor – standen im Zentrum und überraschten nicht nur mit einer Vielfalt an Theaterformen, sondern mehr noch mit einer hohen Qualität. Schon dieses erste Treffen der bayerischen Theater für junges Publikum überzeugte – wie man weiter unten lesen kann – und die Gastgeber, das Junge Theater Ingolstadt, taten alles, um nicht nur in Diskussionen, Workshops und Gesprächen beim Kaffee die Themen zu vertiefen, sondern lebten Partizipation und Inklusion vor: Kinder- und Jugendjurys begleiteten das Treffen, in „Panther“-Gruppen traf sich die Next Generation (wie der Jugendtheaterrat in Bayern). Neben den „Panther“-Jurys trafen sich auch die „Chaospanther“ und „Panther“-Studierende. Anna Gierbauer und Michelle Milewski von der Universität Eichstätt setzten sich – moderiert von Kritiker und Journalist Manfred Jahnke – mit dem Theater für junges Publikum und seiner Kritik auseinander.


BUNTE FARBEN, BUNTES TREIBEN, BUNTE MENSCHEN… UND JEDEN TAG THEATER

SÜDWIND richtete sich an Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen. Diese wurden aufgefordert, das Festival aktiv mitzugestalten: im Vorfeld beim Kuratieren der Theaterstücke, im Rahmen verschiedener Workshops und besonders als Klassengemeinschaft während des Schultheaterfestivals. Die zu sehenden Stücke für junges Publikum waren vielfältig. Besonderer Wert wurde auf die Inklusion gelegt. So richtete sich beispielsweise das Stück Hinterm Haus der Wassermann an hörende und gehörlose Menschen, indem es nicht einfach nur in Gebärdensprache übersetzt wurde, sondern diese ganz selbstverständlich in die Handlung integriert und zum Angelpunkt des Bühnengeschehens machte.

Meine persönlichen Highlights waren Paula und die Leichtigkeit des Seins (6+), Berührt euch! (14+) und das als Ersatz für ein anderes Stück hinzugekommene Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin (7+). Paula und die Leichtigkeit des Seins verzauberte besonders durch das einfühlsame und federleichte Puppenspiel von Sabine Zieser. Das Publikum konnte mit Paula schweben. Berührt euch!, das als Aufklärungsshow für Jugendliche deklariert wird, brachte auf witzige und kreative Art Themen zur Sprache, die so im Sexualkundeunterricht nicht gesagt werden und sollte in jeder Schule gezeigt werden. Der Zinnsoldat und die Papiertänzerin begeisterte schließlich durch das Schauspiel von Paula Gendrisch und Steven Cloos, die rasant zwischen verschiedensten Rollen springen mussten und dies mit Leichtigkeit und Vielfalt umgesetzt haben. Besonders Paula Gendrisch überzeugte, indem sie jeder Rolle eine ganz eigene Stimme und einen für sich stehenden Charakter verlieh. Ein Stück zum Laut-Mitlachen und vielleicht auch ein paar Tränchen vergießen.

Das SÜDWIND-Festival in Ingolstadt inspirierte durch das Zusammentreffen einer Vielzahl von Theaterschaffenden, dem gemeinsamen Austausch und natürlich der Partizipation der vielen Kinder. Die Erwartungen für das nächste Festival in München sind hoch gesetzt.

Zusammen mit meiner Kommilitonin der Universität Eichstätt, Anna Gierbauer, durfte ich das SÜDWIND-Festival an der Seite von Dr. Manfred Jahnke begleiten. In seinen Seminaren konnten wir uns unter anderem Wissen aneignen über die Entstehung der Theaterpädagogik und des Theaters für junges Publikum, über dessen Besonderheiten und verschiedene Darstellungsformen wie beispielsweise das Figuren- oder das Objekttheater sowie über die praktische Arbeit der Theaterpädagogik am Theater.

Über die Stücke, die wir zusammen sehen konnten, diskutierten wir ausführlich und eigneten uns an, professionelle Kritiken darüber zu schreiben. Dabei habe ich vor allem gelernt, genau auf Details zu achten, ein Stück nicht nur „gut“ oder „schlecht“ zu finden, sondern mir bewusst zu werden, was ebendies ausmacht, und zu differenzieren zwischen Textgrundlage, Entscheidungen der Regie oder Dramaturgie und Leistung des Ensembles und dies in meinen Kritiken zum Ausdruck zu bringen.

Dr. Manfred Jahnke ließ uns auf seine entgegenkommende, herzliche Art an seinem Wissen teilhaben und interessierte sich dabei auch stets für unsere Ansichten und Meinungen. Ich konnte viele Erfahrungen sammeln und bin dankbar, auf diese Art ein Teil des Festivals sein zu dürfen.

Michelle Milewski, ausgebildete Musicaldarstellerin. Da bei Abschluss des Studiums 2020 wegen der Pandemie eine Ausübung des Berufs nicht möglich war, Beginn des Studiums der Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt sowie Erwerb eines theaterpädagogischen Zusatzzertifikates. Ziel bleibt der Auftritt auf der Bühne.


SPANNUNG BIS GÄNSEHAUTMOMENT

Verleihung der Preise durch die „Panther“-Kinderjury an das Theater Mummpitz sowie durch die „Panther“-Jugendjury an Manuela Neudegger. Foto: Alexander Schuktuew

Kinder, die Spaß haben, mitmachen dürfen, ein immer spannendes Stück und sympathische Schauspieler*innen: das war der Auftakt der Schauburg München mit ihrem Stück Alarm im Streichelzoo. Ein weiterer Höhepunkt war das Stück Berührt euch!, ein unfassbar spannendes und wichtiges Thema, das super aufbereitet ist, authentisch mit einer großen Menge Humor. Auch Interaktion hat durch sein berührendes und gelungenes Beispiel für inklusive Arbeit mit Standing Ovations am Ende für Gänsehautmomente gesorgt. Insgesamt kann man sagen, dass, wenn Kinder lachen und die Erwachsenen gespannt da sitzen, wenn jede*r mitfiebert, was als nächstes passiert, kurz: wenn das Theater es schafft, das ganze Publikum in seinen Bann zu ziehen, so ist dies ein tolles Theatererlebnis. So war es bei den allermeisten Stücken von SÜDWIND, sodass man sagen kann: es war eine tolle Zeit mit vielen Höhepunkten, einem spannenden und abwechslungsreichen Programm und natürlich gutem Essen (auch wenn dieses nicht immer pünktlich ankam).

Das vielfältige Programm spiegelte sich schon an den zahlreichen Workshops wider. Diese reichten von theatralen Warm-Ups bis hin zum Basteln oder dem Bemalen von Masken. Die Vielfalt zeigte sich auch an den Spielorten, die von den Organisatoren ausgewählt wurden: es wurde nicht nur im großen Haus, auf der Werkstattbühne und im Kleinen Haus – alles Bühnenorte des Stadttheater Ingolstadt – gespielt, sondern es wurde auch im Freien, also in die Stadt gespielt. So hatte jede*r die Möglichkeit, an Theater teilzunehmen oder das Theater die Möglichkeit, jede*n zu erreichen. Auch die Auswahl der Stücke zeigte eine beeindruckende Themenvielfalt und gleichzeitig eine enorme Bandbreite an gewählten Altersgruppen. Jede*r konnte etwas finden, was ihm*ihr gefällt. Außerdem wurde ein barrierefreier Zugang zu den Theatern ermöglicht. So erzählten drei Tanztheater ohne Worte Geschichten, die uns in ihren Bann zogen. Ebenso halfen Gebärdendolmetscher*innen Sprachbarrieren zu überwinden. In der Themenumsetzung bot ÜDWIND auch jede*m die Möglichkeit Zugang zu schwierigen Themen wie Selbstmord oder Aufklärung – und dies so, dass es ein junges Publikum ansprach. Außerdem wurden für jedes Stück Trigger zusammengefasst, so dass jede*r selbst entscheiden konnte, ob das Stück für eine*n geeignet ist oder man es lieber meiden möchte. Insgesamt war SÜDWIND ein geglückter Versuch eines Theaters für alle.

Für mich war das Festival eine tolle Erfahrung zu sehen, was für eine Bandbreite und Vielfältigkeit das Theater zu bieten hat, mit was für Mitteln das Theater es schafft, sein Publikum zu begeistern. Staunenswert auch die Möglichkeiten, wie das Theater unsere Gedanken und Gefühle lenken kann, oder welche Vielfalt es gibt, die Bühne bzw. den Schauplatz zu gestalten. Außerdem habe ich gesehen, wie viel es ausmacht, wenn Künstler*innen gut und authentisch spielen, wenn eine Regie sich eingehend mit dem Stück beschäftigt und wie viel das Stück an sich ausmachen kann. Auch habe ich gelernt, einen neuen Blickwinkel gegenüber dem Theater einzunehmen und mich genauer zu fragen, warum mir eigentlich was gefällt und wie ich dies genau beschreiben kann.

Anna Gierbauer, Studentin auf Lehramt (Mathematik und Wirtschaft & Recht mit Erweiterung Theaterpädagogik) an der Katholischen Universität Eichstätt, Leiterin von Kindertheatergruppen

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