Erfahrungen aus der Qualifizierung für Kulturelle Bildung mit globaler und nachhaltiger PERSPEKTIVE – „kreativ_transformativ“
von Judith Sünderhauf
Da sitzt man nun; auf Yogamatten in der Akademie der Kulturellen Bildung in Remscheid unter Theaterpädagog*innen, Bildenden Künstler*innen, Menschen aus der Erwachsenenbildung und dem Lehramt und diskutiert die GANZ großen Themen: Wie vermittelt man Nachhaltigkeit oder globale Gerechtigkeit? Wie kann man in seiner pädagogischen Arbeit nachhaltig eine Transformation in der Gesellschaft anleiten bzw. anstoßen?
Aber von vorn: Die BKJ veranstaltet seit September 2022 eine 6-modulige Weiterbildung, die im Grundsatz Kulturelle Bildung als Akteurin des Wandels zu einem klima- und ressourcenbewussten Denken, das auch Gerechtigkeit im globalen Sinne miteinbezieht, behandelt. Die Ansätze des Globalen Lernens bieten dabei interessante Schnittstellen mit der Kulturellen Bildung, die untersucht werden sollen. Nach drei von sechs Modulen, die ich als Stipendiatin der ASSITEJ besuchen durfte, habe ich zwar noch keine Antworten auf die gestellten Fragen (wenn es die denn überhaupt gibt), einige Erkenntnisse aber schon. Ein Versuch der Zusammenfassung erfolgt in diesem Text.
Das erste Modul war vornehmlich der Klärung der zentralen Begriffe „Globales Lernen“, „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ und „Kulturelle Bildung“ gewidmet. Während Kulturelle Bildung auf eine kritische Auseinandersetzung zwischen dem Selbst und der Welt mithilfe von künstlerischen Praktiken abzielt, konzentriert sich das Globale Lernen auf Handlungs- und Entscheidungskompetenzen, die die Lernenden zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt. Globales Lernen geht also von einem ganz klar definierten Ziel aus, während die typische Selbstwirksamkeit in der Kulturellen Bildung ja meist etwas offener formuliert bleibt.
Besonders eindrücklich war hier die inhärent und historisch begründete koloniale Perspektive von Globalem Lernen, insbesondere in dem Begriff „Entwicklung“. Worthülsen wie Partnerschaft oder Solidarität werden häufig verwendet, während strukturelle Ungleichheiten weiterhin existieren und politisch aufrechterhalten werden. („Das Märchen von der Augenhöhe“ – gute Publikation zum Thema![1]) Auch die Machthaltung, die die Position des Lehrenden mitbegreift und die daraus resultierende Frage, wie man das als Kulturpädagog*in verhindert und möglichst integrative und offene Räume schafft, löste viele Diskussionen bei uns in der Runde aus. Vermitteln ohne „Moralkeule“ – wie macht man das? Eine der Methoden aus dem Theater, die mir sofort in den Kopf kam, war das kollektive Geschichten erzählen. Weg von der einen westlich geprägten Perspektive, hin zu multiperspektivischen Ansätzen.
„Macht ist die Fähigkeit, die Geschichte einer anderen Person nicht nur zu erzählen, sondern sie zur maßgeblichen Geschichte dieser Person zu machen.“ aus Chimamanda Ngozi Adichie’s Ted Talk.[2]
Das zweite Modul fand in Präsenz in der Bundesakademie für Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel statt und behandelte vordergründig „Globale Entwicklung“ und „globale Gerechtigkeit“. Dabei wurde vor allem der Begriff der Entwicklung kritisch hinterfragt. Dieser Begriff reicht von allgemeinen Transformations- und Wandelprozessen in der Gesellschaft bis hin zu den 17 „sustainable development goals“ für eine globale Entwicklungsagenda der UN. Dabei geht die internationale Entwicklungspolitik aber immer noch von einem Begriff aus, der zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden unterscheidet mit dem Ansatz, dass dem globalen Süden geholfen werden muss.
So hat auch hier „Entwicklung“ eine koloniale/rassistische Perspektive auf Transformationsprozesse. So schlussfolgerten wir: westlich und kapitalistisch geprägte Ansichten müssen verlernt werden. Entgegen einem ständigen Verbesserungsprozess, steht der Prozess des Verlernens – heißt den historischen Kontext miteinzubeziehen, aber auch sich selbst als historisch gewordenes Subjekt vorzustellen (als ein kleiner Teil von gesellschaftlichen Verhältnissen und Entwicklungen). Verlernen heißt auch, sich seiner Privilegien bewusst zu werden. Dieses Verlernen lenkt die Aufmerksamkeit auf die Komplexität der Dinge.
„Deconstruction does not say there is no subject, no truth, no history. It simply questions the privileging of identity so that someone is believed to have the truth. It is not the exposure of error. It is constantly and persistently looking into how truths are produced.”[3]
Im dritten Modul besprachen wir nun online die ökologische Dimension, d.h. konkret Klimawandel & Umweltschutz, da die Ursprünge von Bildung für nachhaltige Entwicklung auch aus der Umweltbildung stammen. Dazu hatten wir, neben einigen faktischen Inputs zum Anthropozän, Klimawandel und Umweltschutz, Workshops mit dem Kipppunkt-Kollektiv und dem Institut für Zukunft. Vom Kipppunkt-Kollektiv lerne ich, dass die interne Struktur einer Institution (möglichst flache Hierarchien, der respektvolle und offene Umgang miteinander) auch vorbildmäßig nach außen strahlt. Auseinandersetzungen mit den Reibungspunkten dieser Thematiken sind hierbei besonders wichtig und ich frage mich: Wie kann man auf den Klimawandel aufmerksam machen & zum Handeln anregen, ohne in der Komplexität des Problems verloren zugehen bzw. die Lernenden zu überfordern? Wie kann man die Emotionen, die in Verbindung damit entstehen gerade im Theater ernst nehmen, kanalisieren, vielleicht produktiv machen? Das Kipppunkt-Kollektiv legt dabei, so ihr Erfahrungsbericht im Workshop, seinen Fokus auf die aus der Klimakrise entstehenden Emotionen: Wut, Angst, Hoffnung und versucht diesen möglichst viel Platz einzuräumen. Achtsamkeit wird dabei großgeschrieben.
Vom Institut für Zukunftskultur erfahren wir: Die Umsetzung von Nachhaltigkeit und Transformation hat auch viel mit Management zu tun. Für transformative Bildung ist nicht nur eine Erweiterung von Wissen und Fähigkeiten nötig, sondern vor allem eine grundlegende qualitative Veränderung von Selbst- und Weltbildern. Gewohnte Bewertungen oder erlernte Denk- und Handlungsmuster müssen auch hier um- und verlernt werden, um die nötige Haltung und Resilienz für große Transformationen zu bekommen.
In den folgenden Modulen werden noch die Ökonomische und die Soziale Dimension von Globaler Gerechtigkeit thematisiert, um dann im letzten Modul die Perspektiven für die Kulturelle Bildung final abzuklopfen.
In ihrem Erfahrungsbericht resümiert die Autorin Judith Sünderhauf die ersten 3 Module der sechsteiligen Fortbildungsreihe „kreativ_transformativ – Qualifizierung für eine Kulturelle Bildung mit globaler und nachhaltiger Perspektive 2022/2023“ der BKJ. Sie nimmt als Stipendiatin der ASSITEJ an dem Weiterbildungssprogramm teil. Judith Sünderhauf studierte Kunst- und Literaturwissenschaft an der Universität Erfurt und arbeitet seit der Spielzeit 2021-2022 als Pressereferentin und Dramaturgin am Landestheater Eisenach.
Quellen:
Globaleslernen.de – Das größte deutsche Webportal für Globales Lernen.
MIGRAZINE – Online Magazin von Migrant:innen für alle ist ein mehrsprachiges Magazin und kritisch-alternatives Medium, das sich mit Migration verbundenen Phänomenen sowie mit gesellschaftspolitischen Themen beschäftigt.
Meadows, Dennis et al.: The Climate Change Playbook: Sammlung mit pädagogischen Übungen & Spielen für den konstruktiven Umgang mit dem Klimawandel.
[1] https://www.glokal.org/publikationen/das-maerchen-von-der-augenhoehe/
[2] https://www.ted.com/talks/chimamanda_ngozi_adichie_the_danger_of_a_single_story
[3] Spivak 1996: 27, In: (Un-)Wissen. Verlernen als komplexer Lernprozess von María do Mar Castro Varela: https://www.migrazine.at/artikel/un-wissen-verlernen-als-komplexer-lernprozess