Zwischen Zurschaustellung & Empowerment

Sensibles Arbeiten mit biografischem und persönlichem Material von Kindern und Jugendlichen
ASSITEJ Werkstatt am 15. Mai 2023 am Hessischen Staatstheater Wiesbaden

von Anne Tysiak

Partizipatives Arbeiten hat in der zeitgenössischen Theaterpraxis einen festen Platz. Wenn in Inszenierungen für und mit Kindern und Jugendlichen mit biografischem und persönlichen Material gearbeitet wird, gilt es, verantwortlich Authentizitätsanspruch und künstlerische Setzung auszuloten.

Auf diese Weise arbeitet auch die Regisseurin Hannah Biedermann, die gerade zum ersten Mal eine Stückentwicklung für das Hessische Staatstheater Wiesbaden erarbeitet hat. Das Team des Jungen Staatstheaters nahm dies zum Anlass, zwei Tage nach der Premiere von „Ein Fisch wird nur so groß wie sein Aquarium“ (12+) zu einem Austausch über den verantwortungsvollen künstlerischen Umgang mit Aussagen junger Menschen einzuladen.

An der ASSITEJ-Werkstatt „Zwischen Zurschaustellung & Empowerment. Sensibles Arbeiten mit biografischem und persönlichem Material von Kindern und Jugendlichen” am 15. Mai 2023 in der Wartburg des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden nahmen – trotz Bahnstreik-Ankündigung – ca. 30 Personen teil (Theaterschaffende, Pädagog*innen, Schüler*innen und Studierende).

Der Tag begann mit einer Vormittagsvorstellung von „Ein Fisch wird nur so groß wie sein Aquarium“, in der Fragen nach Chancengerechtigkeit und persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten gestellt wurden. Produktionsteam und Ensemble hatten im Rechercheprozess verschiedene Formen von »Aquarien« aufgesucht und Interviews mit Wiesbadener Jugendlichen geführt. Wie wirken sich die Grenzen dieser Systeme auf uns und unser Wachstum aus?

Beim anschließenden Nachgespräch mit Regie und Ensemble tauschten sich die Teilnehmenden und auch die zwei siebten Klassen im Publikum zu ihren Eindrücken der interaktiven Inszenierung aus.

Nach einem ersten Kennenlernen und thematischen Einstieg stellte die Regisseurin Hannah Biedermann in einem Impulsvortrag ihre Arbeitsweise und ihre Haltung vor, insbesondere im Umgang mit Interviews von Kindern und Jugendlichen. In Videobeispielen wurden die verschiedenen stilistischen Mittel der Verarbeitung des Materials und der Integration der O-Töne deutlich: Tasten auf der Bühne, Widergabe einzelner Wörter in der Musik, Nachsprechen von Originaltexten. Indem das Material zum Teil der Inszenierung wird, werden die Sichtweisen der jungen Menschen, die sich von denen der erwachsenen Beteiligten unterscheiden können, respektiert.

Nach der gemeinsamen Mittagspause konnten sich die Teilnehmenden in einer praktischen Versuchsanordnung erproben: Drei Gruppen erhielten die gleiche Tonaufnahme eines Interviews mit einer Jugendlichen, welches für das Stück “Ein Fisch wird nur so groß wie sein Aquarium” geführt wurde und dazu jeweils unterschiedliche Aufgabenstellungen für die Erarbeitung einer kurzen Szene. Die Aufgabenstellungen lauteten:

1. Verwendet einen Ausschnitt der Aufnahme im Original, hörbar für das Publikum.

2. Verwendet einen Ausschnitt des Orginaltextes, aber nicht hörbar für das Publikum, also z.B. transkribiert oder nachgesprochen von einer Person, die ihn per Kopfhörer hört.

3. Verwendet keinen Originaltext, sondern lasst euch nur von dem Inhalt inspirieren.

Die Präsentationen der drei Gruppen zeigten, wie vielfältig die ästhetischen Möglichkeiten im Umgang mit dem Interviewmaterial sind.

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, wie wichtig es ist, sich als Theaterschaffende die Frage, was ein verantwortungsvoller Umgang mit dem persönlichen Material von Menschen auf der Theaterbühne bedeutet, zu stellen und dass der schmale Grat zwischen Authentizitätsanspruch und Voyeurismus stets sensibel betrachtet werden muss, um die Perspektive junger Menschen auf bestärkende Weise auf die Bühne zu bringen.

Die ASSITEJ-Werkstatt „Zwischen Zurschaustellung und Empowerment“ wurde vom Team des Jungen Staatstheaters Wiesbaden konzipiert und umgesetzt: Laura zur Nieden, Rebecca Rasche, Dirk Schirdewahn, Luisa Schumacher, Anne Tysiak.

Fotos: Rebecca Rasche

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s