Theaterschaffende sind nicht die Reparaturkolonne, außer sie wollen es

Rückblick auf und Gedanken aus „Auf den zweiten Blick — Symposium zu Ansätzen partizipativer Theaterarbeit in ländlichen Räumen“ im März 2024 an der Hochschule Merseburg

von Christoph Macha & Katrin Maiwald


Ist das eigentlich eine Art von Anmaßung, wenn Kulturschaffende aus den Großstädten Projekte für Menschen in ländlichen Räumen entwickeln? Mit welchem Habitus und welchem Ziel gehen Menschen in solche Projekte?
Johanna Kaiser, forschende Filmemacherin oder filmende Forscherin von der Alice-Salomon Hochschule aus Berlin, appelliert in ihrem Dokumentarfilm und ihren Gedanken dazu, dass wir genau hinschauen, wer da eigentlich wen trifft. In einem Austauschmodell des Berliner Theaters der Erfahrungen haben sich Berliner Senior*innen-Theatergruppen nach Brandenburg aufgemacht, gemeinsam sind dort gemeinsame erste Inszenierungen entstanden, die dann in Gründung von eigenen Theatergruppen vor Ort mündeten. Impulse der Großstadt wurden also umgewandelt und sich zu eigen gemacht. Über die kulturelle Infrastruktur ehemaliger Zentren macht sich Martin Naundorf, Kurator von OSTEN – Festival für Kunst und gegenseitiges Interesse (Bitterfeld) Gedanken und Eva-Maria Antonia Renvert, Professorin am Institut für Theaterpädagogik an der Hochschule Osnabrück, stellt Forschungsergebnisse zum Arbeiter*innentheater der 60er Jahre in der DDR vor. Sie stellt dabei u.a. Fragen wie „Inwiefern spielt das ‚Phänomen des eingeweihten Zuschauers‘ im Betrieb, einer Dorfgemeinschaft oder Kleinstadt eine besondere Rolle? Könnten Aspekte der Kulturpolitik der DDR auch heute wieder impulsgebend sein?“ in den Raum.

Im Rahmen der Ständigen Konferenz Spiel und Theater an Hochschulen fand das Symposium „Auf den zweiten Blick“ statt: Von Skadi Konietzka von der Hochschule Merseburg konzipiert, war es eine Einladung über Kultur in, für und mit ländlichen Strukturen nachzudenken. Die ASSITEJ-Vorstandsmitglieder Katrin Maiwald und Christoph Macha waren eingeladen, mit den Teilnehmenden über Verbandsstrukturen nachzudenken: einerseits ganz konkret über die Arbeit der ASSITEJ zu berichten und andererseits in einem Fish-Bowl-Prinzip mit den teilnehmenden Dozent*innen, Professor*innen, Theatermacher*innen, Studierenden auch über die Netzwerke und ihre Fäden nachzusinnen. Es wurde schnell klar, dass gerade dieser Teil von Arbeit der einzelnen und vereinzelten Künstler*innen in ländlichen Räumen oft zu kurz kommt, wenn deren Hauptarbeit schon finanziell schlecht aufgestellt ist, sich viel ins Ehrenamt verlagert und das Netzwerk eben weitere Belastung bedeutet. Die Frage also: Wie können wir trotzdem untereinander helfen, uns beistehen und gemeinsam für eine „kulturelle Grundversorgung“ verantwortlich zeigen, die wie es in der ASSITEJ-Studie zur Lage des Kinder- und Jugendtheaters von 2017 heißt und sicherlich immer noch so gilt: Gerade in ländlichen Räumen ist die Grundversorgung nicht geleistet, gerade im Osten Deutschlands nicht.

Die Tagung versucht diesen vielen Fragen, Problemstellungen, Gedanken produktiv nachzugehen. Die Performance-Künstler*innen und Forschenden vom Institut für Festkultur, Sandra Bringer aus Halle und Diana Wesser aus Leipzig, berichten von ihren Erfahrungen in ländlichen, ostdeutschen Räumen und der Festkultur der neuen Rechten, die sich eben Volksfestkultur zu eigen machen („Gegen eine Bratwurst hat ja niemand was.“), schicken uns in einem Turbo-Workshop zur Ideenfindung rund um eine Festveranstaltung eines kleinen Ortes namens Musterstedt. Eva Plischke vom Kollektiv Turbo Pascal hält uns ein Plädoyer für die Busperformance in ländlichen Räumen, ist doch diese rollende Bühne niedrigschwellig und als Theater erstmal nicht zu erkennen. Denn das erfahren wir auch – etwas, was wir wohl alle wissen, aber ungern laut sagen. Nana Egger von der Hochschule Merseburg sagt es: Kunst, Kultur und also auch Theater scheinen oft elitär und werden gerade von den neuen Rechten benutzt, um auch ein vermeintliches Anderssein zu kreieren. Die Kunst wird also als Elfenbeinturm dargestellt, der sie gerade in ländlichen Strukturen mit Vereinsarbeit, Volksfest, Inszenierung in einer Turnhalle nie ist.

Foto: Christoph Macha

Und noch etwas stellen wir fest: So genau ist der ländliche vom städtischen Raum gar nicht voneinander abzugrenzen und immer wieder machen wir uns gegenseitig auf Stereotype aufmerksam, die wir reproduzieren und dabei die Vorstellung von „Land- und Stadtmenschen“ mitkonstruieren. Es wird zum gemeinsamen Anliegen Vorurteile und das Sprechen über die vermeintlich „anderen“ abzubauen, vielmehr historische und aktuell gesellschaftliche Verwobenheiten deutlich zu machen und dennoch auf konkrete Strukturunterschiede hinzuweisen: Wie kommen (junge) Menschen im ländlichen Raum (wieder) ins Theater bzw. das Theater zu ihnen, wenn Infrastruktur und Nahverkehr über Jahrzehnte wegrationalisiert und zusammengespart wurde?

Die Workshops, Vorträge, Impulse, eine Busfahrt zur Premiere nach Eisleben des „Jupiter“-Projekts Haufen Uffruhr Fortschritt II (Theater Eisleben, cobratheater.cobra, Hochschule Merseburg) zeigen die Vielfältigkeit, den Bedarf und das Potenzial von Kunst in ländlichen Räumen. Bringer und Wesser nennen es einmal „Rummel sein“ – und ja, es darf rummelig werden. Die Grundforderung nach Kunst in nicht-urbanen Räumen stellt dann aber auch Teresa Darian von der Bundeskulturstiftung und verantwortlich für „Jupiter — Darstellende Künste für junges Publikum“ fest, es darf nicht von oben sein, sondern muss mit der Region selbst gestaltet werden. Das zeigen auch vier exemplarische Projekte der Jupiter-Förderung, wie z.B. Die grüne Bande aus Eisenach, die eine Wandertheaterperformance durch den Wartburgkreis schickt oder das Projekt Hinter Wäldern aus Leipzig und Zwenkau, das Filme vor Ort für den Ort selbst mit Menschen aus dem Ort dreht.

Die Kunst in den ländlichen Räumen ist vielfältig, oft ist sie singulär und verstetig sich nur langsam. Gerade in den Netzwerken und Förderungen braucht es scheinbar mehr Tiefe und Kontinuität, damit eben nicht nur gilt: Da kommen sie aus der Stadt, bleiben kurz und sind dann wieder weg. Denn Kunst hat bisher oft etwas mit großstädtischen Strukturen zu tun und das beweist auch eine spontane Live-Statistik der 70 Teilnehmenden, nicht mal 5 von uns leben in einem Ort unter 50.000 Einwohner*innen. Ulrike Hatzer, Professorin und Leiterin des Masterstudiums „Applied Theatre. Künstlerische Theaterpraxis & Gesellschaft“ an der Universität Mozarteum in Salzburg, entgegnet dem lustvoll: Vielleicht geht es nicht darum zu zeigen, wo man lebt, sondern sich dann wahrhaftig für diesen Widerspruch zu interessieren.

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