„Ein kleines Jubiläum. Zum fünften Mal luden die Mülheimer Theatertage NRW zu dem Autorenwettbewerb „KinderStücke“ (19. – 23. Mai 2014) ein. Bei der Frage, wer in Mülheim dabei sein darf, spielen die Statuten der „KinderStücke“ eine entscheidende Rolle. Die Jury, deren Sprecher in diesem Jahr der Berliner Journalist Thomas Irmer ist, hatte ca. 40 Bewerbungen zu beurteilen. Um den Preis von 10.000 Euro dürfen nur solche Stücke wetteifern, auf die das Attribut „Autorenstück“ passt, die sich an Kinder zwischen 6 und 12 Jahren richten und denen keine der gängigen Buch- und Märchenvorlagen zugrunde liegen. Wahrlich ein exklusiver Stücke- und Autorenkreis des Kindertheaters versammelt sich da jährlich in Mülheim. Ein Plädoyer für das „Literarische für Kinder“ wie Thomas Irmer es im Vorwort des diesjährigen Programms ausdrückt. Entsprechend liest sich auch die Liste der bisherigen Preisträger: Ulrich Hub, Michael Müller, Jens Raschke, Thilo Reffert.
Und wer wird’s dieses Mal? Zwei bisherige Preisträger, Müller und Reffert, haben mit ihren aktuellen Stücken erneut die Jury überzeugt, auch Rudolf Herfurtner, der bereits 2011 teilnehmen durfte, war nun mit „Mensch Karnickel“ dabei. Erstmalig über eine Nominierung freuten sich Milena Baisch („Die Prinzessin und der Pjär“, UA Grips Theater) und Andreas Schertenleib, Zürich.
Rudolf Herfurtners „Mensch Karnickel“ (UA Theater Osnabrück 2013), basiert auf seinem bereits 1990 veröffentlichtem Jugendbuch. Eine dramatische und auch traumatische Geschichte über „verlorene Kinder“, sei’s in Kriegszeiten, sei’s in der heutigen Gesellschaft. Herfurtners eigene Dramatisierung gehört aber nicht zu seinen stärksten Stücken. Sie ist voller epischer Textteile (Achtung Telefongespräche auf der Bühne!) und statt dramatischer Dichte und Konzentration wird das Geschehen von Station zu Station erzählt.
Anders verhält es sich bei dem zweiten von mir gesehenen Stück „Der Bär, der ein Bär bleiben wollte“ (UA Schertenleib & Seele in Koproduktion mit Theater PurPur Zürich und KreuzKultur Solothurn) von Andreas Schertenleib. Auch hier fußt die Geschichte auf einem bereits 1976 veröffentlichten Kinderbuch. Der Autor und Schauspieler Andreas Schertenleib und sein Inszenierungsteam haben daraus ein originelles Stück Erzähltheater mit viel Musik gemacht. Aber ist es wirklich ein Autorenstück oder eher eine Stückentwicklung mit „Team-Anteilen“? Im Interview gibt Andreas Schertenleib entsprechende Hinweise, daß Improvisationen mit Regisseur und Choreografin entscheidend zur Stückfassung beigetragen haben. Und auch hier stellt sich die Frage: werden andere Künstler von dieser Stückvorlage inspiriert, sie nachzuspielen?
Der Ansatz der Mülheimer KinderStücke und die damit verbundenen Jurydiskussionen um das „Autorenstück“ sind durch und durch sinnvoll und lobenswert. Hier werden, denken wir an die Preisträger der letzten Jahre, Maßstäbe gesetzt. Es werden Autoren und Stücke prämiert, die das Theater dringend braucht. Mir erscheint es aber auch überlegenswert, sich nochmals die selbstgesteckten Kriterien anzuschauen und zu hinterfragen. Kann auch ein Team ein „Autorenstück“ schreiben? Wie hält die Jury es mit der großen Bandbreite der „Stückvorlagen“ und ist das „KinderStücke“-Einstiegsalter von 6 Jahren mittlerweile zu hoch angesetzt? Das Ziel ist klar: gute Stücke als Grundlage für ein gutes Theater für Kinder werden gebraucht. Entscheidend ist die Qualität!
In den nächsten Tagen werden noch drei weitere KinderStücke gezeigt. Zwei davon entstanden mit Unterstützung der Autorenförderung des Kinder- und Jugendtheaterzentrums. Am Nachmittag des kommenden Freitags wird die Jury ihre Preisentscheidung öffentlich debattieren. Ich bin gespannt, wer gewinnen wird.“
Henning Fangauf, Literaturwissenschaftler und Dramaturg, ist seit 1989 im Kinder- und Jugendtheaterzentrum in der Bundesrepublik Deutschland tätig, seit 1997 als Stellvertretender Leiter. Er engagiert sich für die Autorenförderung und den Internationalen Austausch im deutschen Kinder- und Jugendtheater und ist u.a. Mitglied im Theaterbeirat des Goethe Instituts.
Der Mülheimer KinderStückePreis 2014 geht an Milena Baisch und ihr Debütstück «Die Prinzessin und der Pjär». Näheres zum Stück und zur Jurydebatte auf theaterheute.de