„Im JES, dem Jungen Ensemble Stuttgart, gibt es gerade viel zu entdecken: Beim 6. Deutschen Kindertheaterfest vom 16. bis 19.Oktober 2014 treffen sich 120 Kinder und 80 Fachbesucher. Die Kinder stehen auf der Bühne und schauen sich die Stücke der anderen Kinder an, sie geben sich gegenseitig spielerisch Feedback in Form von „Rückspielen“ und nehmen an Workshops teil. Die Fachbesucher diskutieren in der begleitenden Fachtagung die Aufführungen der Kinder. Das Deutsche Kindertheaterfest steht dieses Jahr unter dem Thema „Entdeckst Du was?“, und es gibt einiges zu entdecken, zum Beispiel die Festivalzeitung, die von Kindern gestaltet und in einzelnen Seiten ausgeteilt wird, oder die Rätselbilder, die an verschiedenen Orten im Jungen Ensemble Stuttgart (JES) den Betrachter zum Entdecken und Enträtseln einladen.

„Unser Ziel ist es, gemeinsam Dinge zu entdecken“ sagt Meike Fechner zur Eröffnung der Fachtagung. „WYSIWYG“ sagt Prof. Dr. Christoph Lutz-Scheurle in seinem Eröffnungsvortrag, in dem er sich auf das Beschreiben von Theatererlebnissen konzentriert. „What you see is what you get“ klingt schon weniger kryptisch und setzt gleich einen entscheidenden Fokus: YOU. Es geht also um mich. Um das, was ich im Theater erlebe und wie ich es erlebe. Und um den Versuch, dieses Erlebnis nachher in Worte zu fassen und noch mal genauer dahin zu gucken, wo ich Worte wie „irgendwie“ verwende, denn dann kann ich nicht genau beschreiben, etwas nicht eindeutig in Worte fassen. Es geht um genau die Aufführung, die ich anschaue, um das Hier und Jetzt, das immer auch mit allen anderen Personen, die in dieser Aufführung sind, zu tun hat. Also den Kindern auf der Bühne, und den anderen Zuschauern, die die Aufführung mit beeinflussen. Was war an dieser Aufführung markant?
Am Eröffnungsabend wird ein Gastspiel von Kabinet K mit dem Titel „Rough“ gezeigt. Hier können alle Kinder und Erwachsenen gemeinsam Theater erleben und entdecken, bevor am zweiten Tag die ersten eingeladenen Produktionen der Kinder gezeigt werden. Das Besondere an der Arbeitsweise von Kabinet K ist, dass verschiedene Generationen auf der Bühne stehen: Ein Musiker, ein erwachsener Tänzer, eine ältere Tänzerin und sieben Kinder tanzen und spielen in dieser Aufführung miteinander. Joke Laureyns, Regisseurin und Choreografin der Produktion, erläutert am Folgetag im Künstlergespräch, dass die Künstler im Probenprozess einen Raum schaffen, in dem die Kinder so sein können, wie sie sind. „It’s forbidden to pretend, you have to live“ sagt sie zu den Kindern. Die tänzerischen Bewegungsabläufe entwickeln sich aus einfachen Aufgaben, zum Beispiel: „Hang onto Quint (Quint ist der in der Produktion beteiligte erwachsene Tänzer) and don’t let go.“ Die Produktion ist ein Auftakt, der viele Fragen aufwirft, die Teilnehmer in den Folgetagen noch beschäftigen werden: Wie ist das Verhältnis zwischen künstlerischem Konzept und den Gestaltungsmöglichkeiten der Kinder? Welchen Wirkungen der Aufführungen sind sich die Kinder bewusst? Wie unterscheiden sich die Sichtweisen der beteiligten Erwachsenen und Kinder?
Die Annäherung an eine Beschreibung von Aufführungen ist am Samstagvormittag Thema in der Fachtagung. Zuerst wird geschrieben: Einen Satz über einen markanten Moment in einer der bisher gesehenen Aufführungen. Und von diesem Satz ausgehend ein kleiner, assoziativer Text, ein „Erinnerungsprotokoll“, bei dem das persönliche Erleben im Vordergrund steht. Ein Teilnehmer beschreibt die Reaktion seiner Sitznachbarn auf einen derben Kannibalenwitz, der von Kindern auf der Bühne erzählt wird: Das Kind neben ihm lacht, der benachbarte Vater ist peinlich berührt. Der Beobachter fragt: Müssen die Erwachsenen immer die moralische Instanz sein?
Gemeinsam erinnern sich die Teilnehmer an Momente, die ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind. Die Sichtweisen und Reaktionen sind dabei sehr unterschiedlich, oft widersprüchlich. Oft weisen die Fragen über die konkrete Aufführung hinaus: Wie entsteht der Eindruck eines authentischen Moments? Laufen erwachsene Zuschauer Gefahr, Kinder vor allem aus einer pädagogischen Perspektive zu sehen? Welche Anregungen aus eigenen Theatererlebnissen fließen in Theaterarbeiten mit Kindern ein? Deutlich wird: Diese Diskussion hat gerade erst angefangen und macht Lust auf weitere Fragen, Rätsel, Wortfindungen, Theatererlebnisse, Beobachtungen und Entdeckungen.“
Anna Eitzeroth ist seit März 2013 Fachmitarbeiterin mit dem Arbeitsschwerpunkt Theater in der Kulturellen Bildung im Kinder- und Jugendtheaterzentrum und hat die Leitung des Projektes „Wege ins Theater!“, Projekt der ASSITEJ im Rahmen des Bundesprogramms „Kultur macht stark! Bündnisse für Bildung“ inne.