Purer Luxus: Ein Labor für neue dramatische Texte des Kindertheaters

Ein rechteckiges Holzpodest in der Mitte der GRIPS-Arena, ummantelt von silbern glänzender Folie. An den vier Ecken des Podestes sitzen vier Gestalten in merkwürdig verdrehten Körperpositionen, die zu schweben scheinen. In der Mitte eine Schauspielerin auf allen Vieren, den Rücken durchgedrückt, als laste schweres Gewicht auf ihr. Wir erleben das GRIPS-Ensemble bei einem der komödiantischen Höhepunkte der Gala zur Special Edition des Berliner Kindertheaterpreises. Es ist die letzte szenische Lesung der vier preisgekrönten Stücke. Das fünfköpfige Ensemble spielt den Monolog »Layla zieht um« von Mathilda Fatima Onur. Man könnte in der Besetzung eines Monologs mit fünf Darstellern*innen die Lust am künstlerischen Luxus sehen, wenn nicht das gesamte Konzept des Berliner Kindertheaterpreises darauf aus wäre, Freiräume für das Ausprobieren und Experimentieren von Autoren*innen und Theaterkünstlern*innen zu schaffen. Purer Luxus im Alltagsbetriebs eines jeden Theaters, unterstützt von dem Berliner Energiekonzern GASAG.

Seit zehn Jahren gibt es den Preis und vor fünf Jahren hat Stefan Fischer-Fels, als damals neuer Künstlerischer Leiter des GRIPS Theaters, aus dem Preis ein Labor für neue dramatische Texte für Kinder gemacht. Ausgangspunkt des Konzeptes ist der Grundgedanke, dass der Autor, die Autorin, die Keimzelle des Theaters und deshalb dessen integraler Bestanteil sind. Folgerichtig stellt das GRIPS den Preisträgern*innen das gesamte Theater mit allen seinen Ressourcen fürs Schreiben und Recherchieren und fürs Entwickeln und Ausprobieren zur Verfügung. Die professionellen Arbeitsbedingungen und die Unterstützung des Theaters sind der Preis, den die Autoren*innen zwar nicht in Händen halten können, der aber dennoch mehr wert ist als Geld oder eine Statuette.

Wie formulierte es der Autor Thilo Reffert, der selbst schon in den Genuss dieser Förderung kam, bei der Gala so schön? Eigentlich seien Preise, die von einem Wirtschaftsunternehmen finanzierten allemal, Marketinginstrumente derjenigen, die die Preise vergeben. Der Preis ist also nicht für die Autoren da, sondern die Autoren für den Preis. Anders sei das beim Berliner Kindertheaterpreis. Zwar mache die GASAG unter Marketinggesichtspunkten einige Fehler, stellte er augenzwinkernd fest, aber unter künstlerischen Gesichtspunkten seien diese Fehler Gold wert. Der Berliner Kindertheaterpreis sei eben doch für die Autoren*inne da.

Und auch das GRIPS Theater gehört zu den Gewinnern. Die Uraufführungen für den Spielplan sind nur der eine Zugewinn. Ebenso schwer wiegt das Unternehmen, mit den Laboren das emanzipatorische Kindertheater in seinem eigenen Elternhaus fit für die Zukunft zu machen, durch neue Autorenperspektiven und aktuelle Kindheits- und Welterfahrungen. Für die Special Edition war dafür ein Zukunftsworkshop zu den Themen Kindheit und Digitalisierung, Kindheit in der Einwanderungsgesellschaft sowie Kindheit und soziale Teilhabe durchgeführt worden. Die Ergebnisse stellt das scheidende GRIPS-Leitungsteam, Stefan Fischer-Fels, Kirstin Hess und Henrik Adler, als Herausgeber in ihrem Buch „Ab morgen… Über Theater für Kinder in der Zukunft“ vor, das im Verlag Theater der Zeit erschienen ist.

Dass die Kinder sich von ihren Eltern emanzipieren, gehört zu den Ur-Topoi des GRIPS Theaters. In den emanzipatorischen Stücken für Kinder siegen Fantasie, Neugier und Offenheit über Engstirnigkeit und Konventionen der Elterngeneration. Im richtigen Leben hat das schon in der Entstehungszeit des GRIPS Theaters nicht wirklich funktioniert und ist eine Utopie geblieben. Und auch im richtigen Theaterleben ist die Emanzipation der Generationen ein virulentes und aktuelles Thema. In der abendlichen Gala fielen die bemerkenswerten Sätze, dass Emanzipation Partizipation zur Voraussetzung hat. Aber was ist, wenn Vati sich nicht beteiligen will?

Der vergangene Samstagabend im GRIPS Theater war auch ein Abend des Abschieds. Viele Weggefährten*innen der letzten fünf Jahre erfolgreicher Modernisierung des emanzipatorischen Gedankens, der heute so wichtig ist wie vor fünf Jahrzehnten, waren gekommen, um Stefan Fischer-Fels und Teile seines Teams nach Düsseldorf zu verabschieden. Es war ein heiterer und bewegender Abend. Ein Abschied wider Willen. Aber beileibe kein sang- und klangloser. Und schon gar nicht ein spurloser Abschied.

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