Die Reihe der Präsentation aller zwanzig auf den Auswahllisten zum Deutschen Kindertheaterpreis 2016 und zum Deutschen Jugendtheaterpreis 2016 vertreten Stücke beschließt Gerd Taube, Leiter des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt am Main, der heute Theatertexte von Martin Baltscheit, Roel Adam, Mattias Andersson und David Paquet vorstellt.
»Krähe und Bär oder: Die Sonne scheint für uns alle« (10+)
von Martin Baltscheit (Deutschland)
Verlag für Kindertheater, Hamburg
Der Bär ist unzufrieden mit seinem tristen Leben im Gehege des Zoos, in dem er immer im Kreis läuft, weil die Mauern für ihn unüberwindlich sind. Da hat ihm diese aufdringliche Krähe gerade noch gefehlt, die es auf sein Futter abgesehen hat und ihn wegen der drei sicheren Mahlzeiten am Tag beneidet. Doch der Bär sehnt sich nach der Freiheit und die Krähe hat eine Lösung. Ein Zaubertrank erlaubt den Körpertausch. Fortan lässt es sich die Bärenkrähe in ihrem Gehege mit Vollpension gut gehen, während der Krähenbär die Freiheit der Lüfte genießt. Doch das Leben in der freien Wildbahn heißt Kampf ums Überleben und bald sehnt sich der Krähenbär wieder nach seinem Gehege und vor allem nach der Krähe. Die Bärenkrähe ist inzwischen vom Genuss gezeichnet. Fett und unbeweglich wünscht sie sich, wieder frei wie ein Vogel zu sein. Als sie ihren Bären in Gefahr wähnt, löst sie den Zauber. Der Bär kehrt in sein Zuhause zurück. Er will künftig nicht nur das Frühstück mit der Krähe teilen. Martin Baltscheits jüngste Theaterparabel für Kinder erzählt die philosophische Geschichte zweier ungleicher Freunde, die erst den Sinn ihres Lebens erkennen, als sie ihr Dasein mit dem Anderen getauscht haben.
»Menschenfleisch« (Mensenvlees) (10+)
von Roel Adam (Niederlande)
Aus dem Niederländischen von Rosemarie Still
Verlag der Autoren, Frankfurt am Main
An dem fiktiven Ort einer Fabrik begegnen sich Figuren aus unterschiedlichen historischen Epochen der Kolonialzeit und des Postkolonialen Zeitalters. Dem Jungen Mini-Mini ist es gelungen in diese Fabrik einzudringen. Er ist hungrig und will arbeiten, doch die alte Akuba, die davon träumt bald nach Afrika zurückzukehren, schickt ihn weg. Sie will ihn vor ihrem und dem Schicksal der in der Fabrik beschäftigten Sklaven bewahren. Doch Mini-Mini bleibt und nachdem er auch als Sklave gebrandmarkt wurde, entdeckt er in dem Mädchen Destiny seine Schwester, die er zuletzt in ihrer Heimat Thailand gesehen hat, bevor sie von den Eltern in ein Bordell verkauft wurde. Im Kampf gegen Ökonomia, der Beherrscherin der Fabrik, gelingt den Geschwistern die Flucht. Doch die anderen, Sklaven wie Aufseher, müssen ihr Leben lassen. Ökonomias Deal mit dem Organhändler ist deswegen geplatzt. Sie wird stattdessen vollständige menschliche Leichname liefern. Ein starkes Stück mit drastischer Handlung, ohne vordergründigen Realismus, das sich mit aufklärerischem Gestus auf parabelhafte Art und Weise dem Thema europäischer Kolonialgeschichte und dem Postkolonialismus widmet.
»Acts of Goodness« (Acts of Goodness) (14+)
von Mattias Andersson (Schweden)
Deutsch von Jana Halberg
Felix Bloch Erben Verlag für Bühne Film und Funk, Berlin
Gleich in der verstörenden ersten Szene wird ein Akt der Güte mit Gewalt und Diebstahl beantwortet. Mikael (18) hilft dem gleichaltrigen Adam aus einer Notsituation und findet sich am Ende selbst halb nackt, zusammengeschlagen und ohne Habe an der einsamen Bushaltestelle. In einer anderen Geschichte verwandelt sich die Dankbarkeit von Rebecka für ihren Mann Markus, beide ca. 35 Jahre alt, der ihr scheinbar selbstlos eine Auszeit mit einer Freundin gönnt, in einem bizarren Dialog in Misstrauen und Feindschaft. Eine dritte Geschichte erzählt von Blanka und Sonja, beide 23 Jahre alt. Die eine lebt bettelnd auf der Straße, die andere ist wohlsituiert. Sonjas Helfersyndrom bedroht die junge obdachlose Rumänin und führt in eine Katastrophe. Der Autor hat in seinem Stück zudem dokumentarisches Material von jungen Menschen aus Europa, Antworten auf die Frage nach der Güte, zu kurzen Monologen verdichtet, die strukturierend und kommentierend zwischen den dialogischen Szenen stehen. Ein starkes Stück für das Jugendtheater, das assoziatives Denken und Verstehen sowie das Nachdenken über eigene Handlungen der Güte anstößt.
»2 Uhr 14« ( 2 h 14) (14+)
von David Paquet (Kanada)
Deutsch von Frank Weigand
Rowohlt Theater Verlag, Reinbeck
Katrina lässt sich ein Tattoo von einem schwarzen Panther stechen um sich stark zu fühlen. Der schüchterne Musterschüler Berthier versucht, als vermeintlich Blinder, Mitleid zu erregen und Mädchen anzusprechen. Jade meint, sie sei zu fett und zu hässlich und verordnet sich, um abzunehmen, einen Bandwurm. Francois, der Kiffer, verliebt sich in eine 77jährige kranke Frau. Dennis, dem Französischlehrer, schmeckt seit ein paar Wochen alles was er isst und trinkt wie Sand. Charles ist der Moderator des Schulradios. Man hört nur seine Radiostimme aus dem Off. Erst ganz am Schluss hört man die Schüsse, mit denen er alle im Klassenzimmer tötet. Um 2:14. Pascale, die Mutter von Charles, geistert leidend durch das Stück und erzählt von ihren Erinnerungen an ihren Sohn, den Täter. Ein klug gebautes Stück über einen Amoklaufs, in dem der Täter keinen Platz hat, aber dennoch omnipräsent und letztendlich auch omnipotent ist. Ein geschickt konstruiertes Kaleidoskop der Erinnerungen an die menschlichen Unzulänglichkeiten der Opfer. Dem Zuschauer wird erst ganz langsam klar, dass da etwas Schreckliches passiert sein muss.