Sechs Stunden auf dem Zweiten Bundesforum des Bündnisses für Freie Darstellende Künste in den Sophiensælen in Berlin
von Annett Israel
Was passiert, wenn Vertreter*innen von kulturpolitischen und Förder-Institutionen auf Akteur*innen aus der Praxis der Darstellenden Künste treffen, um die Frage zu diskutieren: „Wie können die Vielfalt und Komplexität unterschiedlichster Arbeits- und Produktionsweisen in den freien Darstellenden Künsten gewahrt und zugleich in ihren dynamischen Strukturen nachhaltig gestärkt werden?“
Etwa 200 Teilnehmer*innen aus allen Teilen Deutschlands fanden am 3. September 2019 den Weg in die Sophiensæle zum zweiten Forum des noch jungen Bündnisses für Freie Darstellende Künste. Seit dem ersten Treffen 2017 wurden bereits Schritte auf dem Weg zu einer Anerkennung von Bedarfen der freien produzierenden Künstler*innen gegangen.
Ausgerichtet wurde das Forum auch dieses Mal gemeinsam vom Bundesverband Freie Darstellende Künste und vom Fonds Darstellende Künste mit dem Ziel, über Dynamisierungen der Förderstrukturen zu diskutieren und in der Umsetzung verbesserter Rahmenbedingungen für die frei produzierenden Darsteller*innen in Bezug auf die Erfordernisse der künstlerischen Praxis weiter voranzukommen.
Beispielsweise gehören digitale Technologien längst zu unser aller Lebensrealität. Daher brauchen die mit hohen Technikinvestitionen verbundenen künstlerischen Erforschungen und Anwendungen sowie die interdisziplinären Kooperationen dringend neue Fördermodelle. Die Kulturstiftung des Bundes hat mit dem Fonds Digital bereits reagiert, die Akademie für Theater und Digitalität in Dortmund, die sich der Aus- und Weiterbildung widmet, hat 54 Stipendien vergeben, der Fonds Darstellende Künste legt demnächst mit einem Förderprogramm nach.
Dass die Fördersummen für die freie Szene insgesamt kaum ausreichen, um dem stetig steigenden Bedarf gerecht zu werden, bleibt ein offenes Geheimnis. Wolfgang Schneider, Vorsitzender des Fonds Darstellende Künste, untermauerte diese Tatsache in seinem Eröffnungsimpuls: Trotz einer Aufstockung der Fördermittel beim Fond Darstellende Künste konnten nur 19% der Anträge bewilligt werden, da auch die Bewerbungen um die bereitgestellten Fördermittel deutlich zahlreicher eintrafen. Solche Förderquoten sind keine Ausnahme.
Obwohl freie Gruppen in den großen und kleinen Städten und insbesondere in ländlichen Räumen deutlich zur kulturellen Grundversorgung beitragen, ist ihre eigene soziale Situation oft prekär. Mangels Unterstützung ringen kleine Theater und Gruppen abseits der Metropolen mit ihren differenzierten Förderangeboten täglich ums Überleben und leisten einzeln kämpfend als Kontakter*innen, Vernetzer*innen, Raumgeber*innen und -planer*innen oft weit mehr als ihre künstlerischen Ambitionen zu verfolgen. Die Fördersysteme, die laut Aussage von Teilnehmer*innen aus den 70er Jahren stammen, entsprechen also nicht mehr der künstlerischen Entwicklung bei den frei produzierenden Künstler*innen und bedürfen einer Anpassung.
Monika Gintersdorfer brachte den Widerspruch für die über Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich zusammenarbeitenden freien Ensembles auf den Punkt: Die langfristige, nachhaltige Zusammenarbeit findet angesichts der überwiegend auf Innovation ausgerichteten, kurzfristig wirkenden Projektförderungen in der Förderlandschaft kaum Beachtung. Förderung zielt überwiegend auf Produktion, weniger auf künstlerische Forschung oder Präsentationen. Sie richtet sich auf neue künstlerische Konstellationen und Partnerschaften und, wie Sahar Rahimi von Monstertruck später bemerkte, auf die virulenten Themen, denen die freien Gruppen bei der derzeitigen Fördersituation „hinterherzuhecheln“ genötigt sind.
Impulse für neue Produktionen ergeben sich für freie Ensembles oft aus dem, was in vorangegangenen Produktionen offengeblieben ist. Diese konsequente Verfolgung gemeinsamer künstlerischer Wege in freien Ensembles, das gemeinsame Suchen, Weitergehen findet oftmals in der Förderstruktur keinen Niederschlag. Auch die Art und Weise, wie die Projektfördersummen eingesetzt werden müssen (z.B. sind keine Anschaffungen möglich), führt dazu, dass diese Gruppen und ihre Künstler*innen immer wieder vor dem absoluten Nichts stehen. Langfristige Arbeit bräuchte für die freien Ensembles ohne eigene Spielstätte auch einen längerfristigen Zugang zu Produktionsmitteln und Produktionshäusern. Mögliche Auswege:
- Produktionsstätten, die eine Gruppe nicht nur für ein die Dauer eines Projekts und die obligatorischen 3-5 Vorstellungen engagiert, sondern Gruppen für eine längere Zeit einladen, den Spielplan des Hauses zu gestalten.
- Theaterhäuser, die von mehreren freien Gruppen gemeinsam geleitet werden und die hier produzieren und aufführen
Eine Chance für weitere Gastspielmöglichkeiten ergibt sich, so Wolfgang Schneider, vor allem in den ländlichen Räumen. So könnten die INTHEGA Gastspielhäuser von freien Gruppen als potentielle als Spielorte und Partner entdeckt werden.
Auch die Jurys, bzw. kuratorischen Entscheidungsmächte standen auf dem Prüfstand. Gintersdorfer sieht eine deutliche Akademisierung in den performing arts.
Überdies durchläuft ein- und dieselbe Produktion oft gleich mehrere Antragszyklen und muss sich damit auch immer wieder aufs Neue kuratorischen Bewertungen aussetzen, etwa wenn auf die Projektförderung noch eine Gastspielförderung folgen muss.
Auswege:
- Den Kreislauf immer wieder neuer Beantragung für dieselbe Produktion durchbrechen
- Jurys wechseln häufiger und werden auch mit wechselnden Künstler*innen besetzt
- Künstler*innen selbst laden andere Künstler *innen ein
- Schriftliche Antragssicherheit sollte nicht als alleiniges Kriterium für die Einreichung eines Projektes gelten. Gintersdorfer plädierte dafür, sich anderen Ausdrucksmedien mit denen man sich um Förderung bemühen kann, wie Video, Audio zu öffnen, damit nicht Bildungsabschlüsse und Diskurssicherheit als Hürde für Anträge künstlerischer Projekte aufgerichtet werden
Es tut sich was – auch wenn die Mühlen im Kulturbereich von jeher langsam mahlen! Das konnte man in einer Gesprächsrunde erleben, in der Dr. Hildegard Kaluza (Leitung Kultur im Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW) über die Aufstockung ihres Kulturetats sprach und berichtete, dass den freien Ensembles und Künstler*innen ein nahezu gleicher Anteil an der Förderungs in NRW zuteil wird wie den Landesinstitutionen. Freie Ensembles, die die Spitzenförderung dreimal durchlaufen haben, haben nun in NRW Zugang zur Konzeptionsförderung. Auch anderswo, z.B. in Dresden, gehen dem Umbau von Fördersystemen nun häufiger intensive Gespräche von kulturpolitischen und Förderinstitutionen mit den betroffenen freien Künstler*innen voraus. Gefragt wird, was gebraucht wird und wie die Fördersysteme dem Rechnung tragen könnten.
Hoffnungszeichen setzen auch die diversen überregionalen und z.T. auch internationalen Netzwerke von Festivals Freier Darstellender Künste, von Produktionshäusern und Residenzprogrammen, die sich in der Arbeitsgruppe „Produktionsstrukturen“ trafen. Anwesend waren u.a. Vertreter*innen vom Bündnis internationaler Produktionshäuser, vom Dachverband Tanz, flausen+, Freischwimmen, Netzwerk Freier Theater, Performing Arts Programm Berlin, Regionale Festivals der Darstellenden Freien Darstellenden Künste.
Sie zielen auf den überregionalen Austausch über Produktions- und Arbeitsweisen, aber auch über Präsentations- und Diskursformen, regen Koproduktionen an, initiieren überregionale kuratorische Labore oder schaffen, wie das mittlerweile bundesweit und europäisch aktive Residenzprogramm flausen+, in ländlichen Räumen und an kleinen Theatern Homebases für freie Gruppen ohne eigene Spielstätte oder neue Rückzugsräume für künstlerische Forschung und prozessorientiertes Arbeiten.
Es geht um Wissenstransfer, um das Tauschen von Erfahrungen und darum, die gegenseitige Wahrnehmung regionaler freier künstlerischer Arbeit voranzubringen, nicht zuletzt auch darum, sich gegenseitig zu stärken. Dass (Frei)Räume und Finanzierung für künstlerische Prozesse fehlen, die im Dazwischen von Produktionsphasen das künstlerische Suchen und Forschen ohne Ergebnisdruck ermöglichen, wurde vielfach bekräftigt. Eine folgerichtige Forderung aus der Arbeitsgruppe: Künstlerische Forschung als Teil künstlerischer Arbeit anzuerkennen und dafür ein bundesweites Förderprogramm aufzulegen.
Mir ging durch den Kopf, dass ein Austauschen von Erfahrungen, die gegenseitige Wahrnehmung regionaler künstlerischer Dynamiken, und die Entwicklung gemeinsamer Strategien oder Kooperationen auch für die Macher*innen der (regionalen) Festivals der Darstellenden Künste für junges Publikum anregend sein könnte und das aller Spezifika und Rahmenbedingungen der jeweiligen Festivals zum Trotz.
Soweit meine ausschnitthaften Eindrücke. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse und Forderungen aus dem Forum, die sicherlich demnächst vom FDK und beim BFDK auf den Webseiten nachzulesen sein werden.