von Jim Lawson
Die Darstellenden Künste für junges Publikum durchleben auch in Australien unruhige Zeiten. Ein Sturm wie aus dem Bilderbuch: gestrichene Fördergelder, geschlossene Schulen und Theater. Aber für die Künstler*innen in Australien sind immerhin die Herausforderungen durch große Entfernungen nicht neu.
Künstler*innen und Kompagnien sind auf der Suche nach innovativen Wegen, um ihre Reichweite zu vergrößern und ihre tradierten Ansätze zu befragen oder zu erweitern. Windmill Theatre, ein Flaggschiff der TYA Szene, setzt auf den digitalen Dialog. Das digitale Angebot ist eng verknüpft mit existierenden Produktionen und schafft neue Möglichkeiten der Begegnung mit jungen Menschen und Familien. Rose Myers, künstlerische Leiterin von Windmill Theatre, beschreibt ihren Ansatz so: „Als wir uns mit der Tatsache konfrontiert sahen, dass wir eine ganze Weile nicht auf der Bühne stehen würden, haben wir uns gefragt ‚wie erzählt Windmill im digitalen Raum Geschichten?‘ Und die Antwort ist Windmill at Home. Digitale Erfahrungen, Inhalte und Aktivitäten werden verbunden und bringen so einige unserer Lieblingsfiguren, -geschichten und -gesichter zu unserem Publikum nach Hause.“ Die Videoreihe Honey I’m home erweckt Alltagsgegenstände zum Leben.
In Südaustralien ist Slingsby zu verorten. Sie haben rasch reagiert auf die sich verändernde Landschaft und haben mit ihrer Produktion Emil und die Detektive (4 bis 12 Jahre) das Format Slingsby by Request erfunden: „Nichts ist vergleichbar mit der geteilten Erfahrung von Raum und Zeit, die wir im Theater live erleben, aber in außergewöhnlichen Zeiten müssen wir eben lernen, uns anzupassen. Als die Pest im Jahr 1608 London erreichte, sind Shakespeare und seine Kings Men zu einer mobilen Truppe geworden, die durch die ländlichen Gegenden Englands tourte. Also sind wir in Zeiten eingeschränkter Bewegungsfreiheit mit Slingsby by Request online gegangen.“ Drei Online-Pakete sind entstanden: Front of House, Backstage Pass und Access all Areas. Je nach Kategorie kann man nur die Vorstellung sehen oder auch ein Video zum kreativen Prozess anschauen und ein Gespräch mit Regie und Ensemble führen.
Auf einem dünn besiedelten Kontinent, wo Künstler*innen in ländlichen Gegenden oft mehrfach und nicht nur durch die gegebenen Entfernungen benachteiligt sind, hat die Vereinigung regionaler Künstler*innen Threshold während der Covid-19-Krise das Projekt Mountain Goat Mountain umgesetzt. Die Künstler*innen Zoë Barry, Liz Francis, Nikita Hederics, Tahli Corin and Sarah Lockwood haben eine auditive Theatererfahrung für Familien geschaffen, die diese zu Hause erleben und gestalten können: „Schon seit einiger Zeit wurde uns gesagt, wir sollten auch digitale Projekte umsetzen, aber als Theatermacher*innen waren wir uns nicht sicher, dass wir die Dinge, die wir am Theater lieben in den digitalen Raum übersetzen können. Es hat tatsächlich eine Pandemie gebraucht, um diese Skepsis zu besiegen und das Medium einfach zu benutzen, statt es zu fürchten“, sagt Sarah Lockwood und fügt hinzu:
„Das war unsere erste vollständig digitale Arbeit für Familien und die Herausforderung lag darin, einen Rahmen zu schaffen, in dem Familien ihre eigene theatrale Welt erschaffen konnten. Wir sind als Theatermacher*innen so daran gewöhnt, dass wir über jedes Detail der Inszenierung entscheiden, aber hier mussten wir eine neue Kollaboration mit den Familien wagen. Von uns kommen verschiedene Einladungen, die die Kreativität und Phantasie des Publikums freisetzen. Wir sind ja auch daran gewöhnt, die direkte Reaktionen des Publikums zu sehen, aber diese Art der Arbeit auf Distanz verstärkt und feiert die intime Dynamik der Beziehungen innerhalb einer Familie. Wir müssen darauf vertrauen, dass der von uns geschaffene Rahmen ihnen Sicherheit gibt und Momente von Magie und Staunen ermöglicht, an denen wir nie teilhaben können.“
Threshold wird von wichtigen Veranstaltern wie Arts Centre Melbourne, Dream Big Festival Adelaide, Awesome International Children’s Festival in Perth und HOTA Home of the Arts on the Gold Coast gefördert.
Polyglot ist berühmt für seine raumgreifenden, partizipativen Projekte (in Deutschland war z.B. Paper Planet beim Festival FRATZ 2015 zu sehen / Anm. der Redaktion) und auch dieses Theater hat neue Arbeitszusammenhänge zwischen den Künstler*innen und seinen Partnern erprobt, während das Arena Theatre sich vor allem darauf konzentrierte, lokal sichtbar zu bleiben und die Verbindung zum Publikum vor Ort zu halten. Das Terrapin Theatre in Tasmanien legte wiederum den Fokus auf die Unterstützung von Künstler*innen und erlebte zugleich, dass seine wunderbaren digitalen Produktionen in der Krise internationale Aufmerksamkeit erfahren. Sam Routledge, künstlerischer Leiter, sagt:
„Wir stürzen uns nicht einfach in digitale Projekte. Wir kollaborieren mit Künstler*innen zum Thema social distancing in Alltagstätigkeiten. Diese Forschung hat in Johannesburg ihren Anfang genommen und wurde als Teil der Ausstellung Unprecedented Times am Kunsthaus Bregenz kuratiert. Wichtig ist uns dabei die Unterstützung für unsere Künstler*innen, damit sie ihre eigenen Projekte umsetzen können.“
Fraser Corfield von ATYP beschreibt die aktuelle Achterbahnfahrt so: „Der Shutdown war ein Riesenschock für ATYP und ich denke, wir haben ungefähr 3 Jahre Forschung und Entwicklung in nur zwei Monaten durchlebt. Die erste Produktion der Spielzeit, CUSP, konnten wir noch aufzeichnen, bevor wir das Theater schließen mussten. Innerhalb von drei Wochen haben CUSP rund 1500 Zuschauer*innen online gesehen. Wir haben eine Reihe bedeutender Autor*innen beauftragt, sogenannte 5-Minuten-Stücke zu schreiben, die junge Leute und ihre Familien zu Hause proben und aufzeichnen können (ATYP Home Theatre) und unsere ATYP on Demand -Plattform, die wir seit 2018 betreiben, ist mit 2000 Anmeldungen in nur sechs Wochen zu einer führenden Online-Theater-Plattform für Schulen geworden.“
Das letzte Wort geht wieder an Threshold:
„Das gesamte Team von Mountain Goat Mountain lebt im ländlichen Victoria und viele von uns haben Kinder, also ist Teilhabe im Sinne von Zugang zum Theater ohnehin nicht so selbstverständlich. […] Wie können wir die Dinge, die das Theater so gut kann, das Staunen, die Freude, die Momente geteilter Erfahrung, die ernsthaften Gespräche über uns selbst und unsere Welt, zu den Menschen und in ihren Alltag bringen? Mountain Goat Mountain ist in dieser Hinsicht ein wunderbarer Erfolg und das Feedback, das wir erhalten, beschreibt […] wie es einen Moment des gemeinsamen Nachdenkens in den Familien ermöglicht oder neue Kommunikationsformen geschaffen hat. Wir hoffen, dass diese Art des Theaters (neben den Live-Vorstellungen) auch in unserer Zukunft eine große Rolle spielen wird.“
Jim Lawson ist der künstlerische Leiter von Vessel, einer Theaterkompagnie auf dem Land der Bunurong an der Bass Coast, Victoria, Australien. Er ist Autor, Performer, Regisseur und Pädagoge. Vessel hat einen regionalen Fokus und erarbeitet charakteristische Projekte, Programme und Kooperationen.
#wemaketheatrehere
Aus dem Englischen von Meike Fechner.