Wie war eigentlich… die Werkstatt „Transfer“ für Übersetzer*innen? Teil 2 von 4: Wolfgang Barth

Vier Tage voller… Heavy Metal-Vokabular? Augenfarben: Gelb-Blau-Bunt? Nicht-Cowboys in Telefonzellen? Plusquamperfekt mit Maria Theresia? Das gibt’s nur bei der Werkstatt Transfer – Kinder- und Jugendtheater in Übersetzung. Das KJTZ veranstaltete diese vom 07. bis 10. Juli zum sechsten Mal im Rahmen des Internationalen Theaterfestivals für junges Publikum Rhein-Main Starke Stücke, in Zusammenarbeit mit der KulturRegion FrankfurtRheinMain und mit Förderung durch den Deutschen Übersetzerfonds.

Hier bloggen in den kommenden Wochen die diesjährigen Teilnehmer*innen der Werkstatt Zuzana Finger, Adrian Kurmann, Wolfgang Barth und Corinna Popp über ihre Eindrücke der Werkstatt und ihre übersetzten Theatertexte und Projekte.


Gedanken zu Transfer – Werkstatt Kinder- und Jugendtheater in Übersetzung

von Wolfgang Barth

Vom 7. bis zum 10. Juli 2021 durfte ich das zweite Mal an der Transfer-Werkstatt unter der Leitung von Dr. Barbara Christ in Frankfurt teilnehmen. Wie schon 2019 wurde der Aufenthalt von Nikola Schellmann (KJTZ), die auch an großen Teilen des Seminars aktiv teilnahm, hervorragend und mit großer Empathie organisiert.

v.l.: Corinna Popp, Barbara Christ, Nikola Schellmann, Zuzana Finger, Wolfgang Barth, Adrian Kurmann (Foto: Marina Andrée)

Zwei Theaterbesuche, ein Gespräch mit Susanne Freiling (Festivalleitung Starke Stücke) und Christoph Zabel (Verlag der Autoren), ein selbstständiger, digital geführter Stadtrundgang und Vorträge der Referentin zur Theatersituation und Übersetzungspraxis sowie zu Berufsfragen waren Bestandteile des Programms. Unterbringung und Verpflegung (Vier-Gänge-Menu) im Spenerhaus waren perfekt.

Sensibel und professionell leitete Barbara Christ, deren Ratschläge sich mir schon seit 2019 eingeprägt hatten, das Seminar. Sie überließ allen Übersetzer*innen zunächst die Regie, damit sie aus eigener Sicht Probleme, Fragen und Darstellungen zur mitgebrachten Übersetzung vorstellen konnten. Dann legte sie ihre Beobachtungen vor und eröffnete die Diskussion der Beteiligten. Hierzu einige Beispiele (unter vielen):

Jeton Neziraj: Der Junge mit den blauen Augen, aus dem Albanischen übersetzt von Zuzana Finger

Eingehende Diskussion des Titels: ist es richtig, das Original (Der Junge mit den gescheckten Augen) wie vorgelegt zu verändern um damit u. a. die Erkenntnis zu erreichen, dass ein hierzulande ganz natürliches Merkmal in einem anderen kulturellen Kontext als Ausgrenzungsgrund fungiert, und durch diese Verfremdung über das Original hinausgehend ein pädagogische Ziel zu verfolgen? Im Für und Wider der Vor- und Nachteile entschied sich Zuzana für das Original.

Was macht man mit Aussagen, die ohne Präsuppositionen aus der Ausgangssprache in der Zielsprache rätselhaft bleiben („Was machen wir jetzt? Den Alten auf die Schuhe spucken.“)? Hier gibt es nur die Möglichkeit der (bei Theaterübersetzungen eher zu vermeidenden) Fußnote oder der Einbindung einer Erklärung in den Text: In Albanien ist dies bei Kindern ein von heimlicher Schadenfreude und dem Genuss des Unentdecktbleibens genährter Übergriff (ähnlich unserem „Klingelstreich“). Die Schuhe stehen aufgereiht vor den Mietwohnungen alter Damen, weil die Wohnung sauber bleiben soll.

Zuzana war besonders interessiert an Wendungen der gesprochenen Sprache und der Jugendsprache weg von der präzise hochsprachlichen Übersetzung des Originals.

Chris Dockrill: Edelmetall, aus dem australischen Englisch übersetzt von Adrian Kurmann

Der Titel weist anzustrebende Qualitätsmerkmale auf: Er macht neugierig und schafft mehrdeutig semantische Bezüge zu wesentlichen Inhalten des Stückes: Kommerz (Gold) in der Musikindustrie sogar im Bereich der Heavy-Metal-Szene.

Diskutiert wurden u.a. Fragen der Angemessenheit des Stils bei der direkten Wiedergabe distanz- und respektloser Sprache z. B. von Schüler*innen gegenüber einer Lehrerin, auch hier eine Frage der Präsupposition: In Australien ist das Schüler-Lehrer*innenverhältnis noch enger und kumpelhafter als z. B. in der Schweiz oder in Deutschland. Entsprechend wird auch respektloser Sprachgebrauch als weniger schockierend empfunden als hierzulande. Der Übersetzer wollte dem Rechnung tragen und deshalb das Original belassen: Übersetzen heißt auch, Gegebenheiten aus dem Bereich der Ausgangssprache als Lernangebot in die Zielsprache übertragen.

Gwendoline Soublin: Fiesta, aus dem Französischen übersetzt von Corinna Popp

Inhaltlicher Schwerpunkt der Diskussion: Konstruktion des Zeitgefüges in der Übersetzung im Vergleich zum Original. Der Originaltext entwickelt das Geschehen vom Schluss des Stückes her, aus der Sicht der jetzt erwachsenen ehemaligen Kinder. Vom Anfang des Stückes an aber erfahren wir das vorzeitige Geschehen, dies wiederum zeitlich abgestuft nach den Regeln der französischen Zeitenfolge und zum Beispiel auch nach den Regeln zum Gebrauch des Imparfait und des Passé composé und der Zeitenfolge in der indirekten Rede.

Schnelle Einigkeit darüber, dass vor dem Übersetzen eine zweifelsfreie Einsicht in die chronologische Abfolge des Geschehens bestehen muss. Auf dieser Grundlage muss der Zeitzusammenhang in der Übersetzung zur Darstellung kommen, hier aber zum Teil unabhängig vom französischen Vorbild, dessen direkte Übertragung (z.B. Imparfait/Passé composé) ja auch fehlerhaft wäre. Generell bestehen im Deutschen größere Freiheiten (wenn z. B. Vorgänge in der Zukunft im Präsens dargestellt werden und entsprechen bei der Übertragung in die indirekte Rede und beim Gebrauch der Modi), was der Absicht der Übersetzerin, einen flüssigen Sprachduktus zu erzeugen, entgegenkommt. Wir waren uns einig, dass dies aber nur bei der Betrachtung konkreter Textstellen entschieden werden kann und haben dies an ausgewählten Passagen exemplifiziert.

Veronika Boutinova: Gary ist kein Cowboy!, aus dem Französischen übersetzt von Wolfgang Barth

Der Text arbeitet sehr stark mit lyrischen Elementen, Klängen, Wortspielen, Doppeldeutigkeiten, Bildern. Die Übertragung stellt besondere Herausforderungen an die Übersetzung. Selten lassen sich zum Beispiel Wortspiele und Doppeldeutigkeiten direkt übertragen und auch der Versuch, Reime nachzubilden, verlangt kreative Entfernung vom Original ohne dessen Beschädigung. Lyrikübersetzer*innen kennen das gut. Mehrere Beispiele aus dem Text wurden von den Teilnehmer*innen als mögliche Lösungen akzeptiert. Es stellte sich aber auch heraus, dass an einigen Stellen, wo der Übersetzer Müdigkeit zeigte und einfach in Prosawendungen formulierte, die wiederholende, eindringliche Intensität des Originals litt. Zu einer besonders schwierigen Stelle, die schon einige kniffelige und aussagestarke Bezüge des Originals bewältigt hatte, entwickelte Adrian Kurmann aus dem Stand eine beeindruckende Rap-Version. Mir obliegt es nun, die Vorschläge mit den vorhandenen inhaltlichen Lösungen in Einklang zu bringen.

Einen Schwerpunkt bildete die Diskussion, wie mit rassistischem Vokabular des Originals umgegangen werden soll, das die Autorin einsetzt, um zum Beispiel den fürchterlichen Vater Garys zu charakterisieren. Vertreten wurden gegensätzliche Richtungen:
1.) Das rassistische Vokabular durch das entsprechende Äquivalent im Deutsche darstellen, weil nur so die (zu kritisierende) Realität abgebildet und ein Lernen bei den jungen Zuschauer*innen auch zu ihrer Vorbereitung und ihrem Schutz evoziert werden kann.
2.) Ohne die Aussagen des Originals zu verfälschen das rassistische Vokabular aus der Übersetzung tilgen, weil es in unserer Sprache keine Zukunft hat und Kinder es gar nicht erst kennenlernen sollten. Im Anschluss an den Vortrag Susanne Freilings am Vortag war eine ähnliche Problematik bereits diskutiert worden. Trotz des Austauschs vieler Argumente blieb die Frage bei den Teilnehmer*innen der Werkstatt unentschieden. In der Konsequenz werde ich mich mit der Autorin in Verbindung setzen, um zunächst ihre Nuancierungsabsichten bei der Verwendung der rassistischen Begriffe genauer zu ergründen. Danach werde ich mich zu einer Lösung an den konkreten Textstellen durchringen.

Das Arbeitstreffen hat bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Nicht zuletzt trugen dazu auch die Gespräche am Rande, beim Essen und in der Freizeit am Abend bei, die ein Kennenlernen des Anderen, seiner Lebenserfahrungen und Sichtweisen ermöglichten. Dieser Aspekt stellt für mich einen hohen Wert dar.

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