Vier Tage Musiktheater für junges Publikum
von Joscha Schaback
Was kann Musik auf dem Theater für Kinder und Jugendliche? Wo wird sie zu Sprache? Wo ist sie Ausdruck der Seele, wie beschreibt sie Natur? Wie kann man Offenohrigkeit herstellen? Wie weit lässt sich Theater konzentrieren, dass am Ende nur Klänge und Geräusche bleiben? Wie können Kinder musikalisch teilhaben, ohne dass sie vorgebildet sind? Wie vermittelt man Musik an Kinder, wie an Lehrer*innen und Erzieher*innen?
Vom 24. bis 27. März 2022 diskutierten rund 100 Fachleute und Gäste die Möglichkeiten des Musiktheaters für junges Publikum. Eingeladen hatte die Junge Oper Rhein-Ruhr, ein Zusammenschluss der Opern in Dortmund, Bonn, Düsseldorf und Duisburg, die jedes Jahr an einem der Häuser eine Uraufführung produzieren. Der Kongress versammelte wissenschaftliche Fachleute aus Ästhetik und Kultureller Bildung, Player aus der Vermittlungsszene und Leitungsmitglieder wichtiger Kulturinstitutionen. Wie kann das Musiktheater für junges Publikum in den Opernhäusern mehr Schlagkraft gewinnen, wie kann es sich nachhaltig digitalisieren und wie kann es dafür sorgen, dass sich Menschen mit Behinderung nicht wie Zaungäste fühlen? Wie lassen sich mehr Kinder aus sozial schwachen Familien integrieren?

Heiß wurde über die Inszenierungen diskutiert. Wieviel Bühnenzauber wollen wir bei Stücken auf der Hauptbühne? Überlagern optische Reize die Musik? Wie schafft man es, dass Singen zu einer selbstverständlichen theatralen Ausdruckform wird? Beglückend waren besonders die kleinen Formen: Kirsas Musik, ein a-capella Stück über Ausgrenzung und Freundschaft, Nils Karlsson Däumling über die Bedeutung von Klein und Groß (beide Stücke von Thierry Tidrow) sowie Mina oder Die Reise zum Meer über Musik als Sprachform und die Kraft der Fantasie (Anno Schreier).
Musiktheater für Kinder hat die Oper bereits im 19. Jahrhundert beschäftigt. Erst seit etwa 25 Jahren aber gibt es eigenständige Abteilungen. Seither hat sich das Genre zu einer eigenen Kunstform emanzipiert. Kongresse und Festivals, in Kooperation mit dem KJTZ und als eigene Veranstaltung des KJTZ, gab es zuletzt an der Jungen Oper in Oldenburg und Mannheim. Seitdem ist die Aufmerksamkeit für das Musiktheater für junges Publikum gewachsen, die Abteilungen sind größer geworden. Es ist also nicht mehr nur Höflichkeit, dass die drei gastgebenden Intendanten sowie Leitungsmitglieder aus umliegenden Theatern auf der Tagung zugegen sind. Das Thema ist ganz oben angekommen. Am Samstagmittag kam sogar die NRW-Ministerin für Kunst und Wissenschaft ins Bonner Opernhaus, um mit weiteren politischen Größen über Musiktheater als Kulturelle Bildung zu sprechen. Auch Lehrer*innen waren zugegen. Die Politik steht hinter dem Musiktheater für junges Publikum, aber wie kann man die zahlreichen Aktivitäten besser mit den Schulen verbinden?
Noch hat das Musiktheater für Kinder zu wenig Zuschauer*innen, zu schlecht bezahlte Vermittler*innen und zu wenig personelle Kontinuität. Oft sind die Macher*innen nicht Teil der Leitungsrunden. Der Vertrag für Orchestermusiker*innen sieht keine Stückentwicklungen vor, in den meisten Fällen behilft man sich mit Instrumentalgästen. Es gibt also noch eine Menge struktureller Probleme, aber die Bereitschaft, sie zu lösen, ist überall gewachsen. Offensichtlich ist auch öffentliches Geld da, Kindermusiktheater nachhaltig zu fördern. Pioniere des Kindermusiktheaters machen klar, dass man mit den Jugendabteilungen auch Erwachsene und Menschen mit Migrationshintergründen begeistert und neue Stadtteile erschließt. Anders als die große Oper kann das Kindermusiktheater nachhaltig zum Publikumswandel beitragen. „Auf die Ohren, fertig, los!“ scheint nach der Corona-Depression zu einem genau richtigen Zeitpunkt gekommen zu sein. Alle guten Ideen und innovativen Vorsätze können jetzt umgesetzt werden. Die Organisator*innen kündigten schon einmal einen Tagungsband und ein Manifest an.
Dr. Joscha Schaback arbeitet beim Verlag Schott Music in Mainz im Bereich Bühnenwerke und Kindertheater. Er ist Mitglied in der AG Musiktheater der ASSITEJ Deutschland und in der Vorbereitungsgruppe.