Die Jury für den Deutschen Kindertheaterpreis und Deutschen Jugendtheaterpreis 2022 hat über die Auswahllisten entschieden und in den nächsten Tagen werden hier die fünf Juror*innen jeweils vier Texte aus den Longlists mit einem kurzen Text präsentieren. Den Anfang macht heute Luna Ali, freie Autorin und Kuratorin, Berlin.
Sie stellt Texte von Reihaneh Youzbashi Dizaji, Gwendoline Soublin, Sophie Blomen und Max Reiniger, Nona Fernández vor.
Mein Name ist Merkur (8+)
von Reihaneh Youzbashi Dizaji (Deutschland)
Verlag für Kindertheater Weitendorf GmbH, Hamburg
Klein ist die Welt im Keller von Tina und Ben. Die Geschwister spielen miteinander, zanken, erinnern sich. Ihre Erinnerung trägt sie zurück in eine Zeit als sie noch nicht waren, was sie nun sind: Waisen. Zaghaft erzählt sich die Geschichte zweier Kinder, die ihre Eltern während eines Autounfalls verloren haben. Die Welt da draußen scheint nun eine leere zu sein, eine voller mitleidiger Blicke und auch Schuldgefühlen. Einfühlsam gelingt es der Autorin Reihaneh Youzbashi Dizaji den Kindern eine Stärke anzudichten, um zu einer Übereinkunft mit der schweren Realität zu kommen. Dabei sind sie nicht allein: Ihre Tante und ihr Onkel begleiten sie.
Und alles (9+)
(Tout ça Tout ça)
von Gwendoline Soublin (Frankreich)
Deutsch von Corinna Popp
Felix Bloch Erben Verlag für Bühne Film und Funk, Berlin
Samantha ist eigentlich nur zum Babysitten da. Doch schnell merkt sie, dass ein Kind fehlt. Wo ist Ehsan? Hat er sich im familieneigenen Bunker im Garten versteckt? Warum bloß? Gemeinsam mit Ehsans Schwester Chalipa, dem Nachbarsjungen Neslon und Samanthas Freund Slvador versuchen sie in einem mehrstimmigen Chor Ehsan aus dem Bunker zu locken. Dass die Welt ihre Schattenseiten hat, setzt Ehsan zu, dass wissen sie. Auch sie kämpfen damit übereinzukommen mit der Frage, wie es ist in einer Welt aufzuwachsen die von Krieg, Umweltverschmutzung, Diktaturen geprägt ist. Ehsan so scheint es jedoch, hat dafür eine Antwort: Statt sich im Bunker aufzuhalten, ist er ans Meer gefahren, um den Tod eines Wals anzuprangern.
SUPA HELL (14+)
von Sophie Blomen und Max Reiniger (Deutschland)
Theaterstückverlag Korn-Wimmer, München
X Æ A-12 ist das erste Meme-Child, Kind eines südafrikanischen Flammenwerferproduzenten und einer kanadischen Witchhouse-Musikerin und lebt in der Zukunft. Einer absurden Zukunft, in der ständig Essen bestellt wird und die Landschaft aussieht wie ein Windows XP-Bildschirmschoner. Hier hat oder wird sich eine Apokalypse zutragen. X Æ A-12 kann sich nicht erinnern und begibt sich deshalb auf die Suche, wandert durch die verdorrte Rasenfläche von Grünheide, durch leere Serverhallen. Der märkische Sand weht, die Sonne scheint unerbittlich. Am Ende bleibt die entscheidende Frage: Kann die Apokalypse Spaß machen? Ja, wenn man sich der Absurdität hingibt.
Mädchenschule (14+)
(Liceo de niñas)
von Nona Fernández (Chile)
Deutsch von Friederike von Criegern
Rowohlt Theater Verlag, Hamburg
Ein Lehrer mit Panikstörung hört Stimmen aus einem Lüftungsschacht im Physikraum. Es sind Schülerinnen, die sich bei einer Schulbesetzung verschanzt hatten. Als sie aus dem Schacht herausklettern stellt der Lehrer fest: Sie sind ganz und gar nicht jung. Auch die Besetzung, von der sie erzählen, liegt weit zurück und war eine Antwort auf die Diktatur in Chile, die längst vorbei ist. Umsichtig versucht der Lehrer den vier Schülerinnen die Gegenwart zu erklären. In einem Austausch über die Vergangenheit und Gegenwart, dem Kampf für eine Demokratie, zieht der Lehrer Parallelen zu heute: die gewaltvolle Repressionen von Demonstrationen. Geschichte ist hier nicht vergangenen, nur Zeit. Ein Stück über die chilenische Geschichte und darüber hinaus. Ein Stück über die Partizipation Jugendlicher für eine bessere Zukunft.