Kurz bevor wir Euch über die geplanten ASSITEJ-Werkstätten 2023 informieren, kommt hier endlich der Bericht zur ASSITEJ-Werkstatt „Performance Beyond Binaries: Zum Verhältnis von Kindern und Erwachsenen in der Performancekunst“ am Fundus Theater | Forschungstheater Hamburg, die am 11. September 2022 stattfand. Vor Ort und Online. Auf Deutsch und Englisch. Für Kinder und Erwachsene. Das Fundus Theater | Forschungstheater hat sich, wie immer und auch für die Zukunft, viel vorgenommen!
„Wir wollen, das Erwachsene bei unserer Kunst helfen, ohne sie zu verändern.“ So lautete eine der Forderungen im Kinder-Manifest über die Zusammenarbeit von Kindern und Erwachsenen im Theater, das als Teil der ASSITEJ-Werkstatt verfasst und im Anschluss auf dem Hamburger Platz der Kinderrechte verlesen wurde.
Welche Rechte Kinder im Theater haben, inwieweit sie an künstlerischen Entscheidungen teilhaben, und auf welche Weise die Strategien der Performancekunst und Live Art Möglichkeiten bieten, die oft ungleiche Teilhabe zwischen Kindern und Erwachsenen im Theater und auch über das Theater hinaus in Frage zu stellen und neu zu verhandeln – diese Fragen zogen sich durch die Veranstaltung hindurch, zu der das Fundus Theater | Forschungstheater als Teil des Eröffnungswochenendes in sein neues Haus am Platz der Kinderrechte in Hamburg geladen hatte.
Künstlerische Leiterin Sibylle Peters und Geschäftsführerin Gundula Hölty, zusammen mit Meike Fechner von ASSITEJ Deutschland, hießen die anwesenden Theatermacher*innen und -vermittler*innen, Theater- und Erziehungswissenschaftler*innen zur ganztägigen Werkstatt im neuen Fundus Theater willkommen. Insgesamt nahmen 52 Personen (inkl. Team und Referent*innen) aus Deutschland, Dänemark, Großbritannien, Kanada und Südafrika an der Werkstatt teil, darunter fünf Kinder von fünf bis acht Jahren. 26 weitere internationale Teilnehmer*innen verfolgten die zweisprachig (Deutsch/Englisch) abgehaltene Veranstaltung online.
5 illustrierte Vorträge lieferten Impulse für die Diskussion:
Heike Roms (Professorin und Performance-Historikerin an der Universität Exeter in Großbritannien) stellte ihre Forschung über die Geschichte der Teilhabe von Kindern an der Performancekunst vor. Am Beispiel von Allan Kaprow, dem amerikanischen Pionier des „Happenings“, führte sie aus, wie das Ideal von kreativer Teilnahme und dem Überwinden der Trennung von Akteur*innen und Zuschauer*innen, das in den sechziger Jahren vom Happening in die Kunst eingeführt wurde, nicht nur von Kinderspiel inspiriert war, sondern durch den Einbezug von Kindern erst entwickelt wurde.
Die kollektive Arbeit mit Kindern im Rahmen der Familie war Thema der Präsentation „Familienarbeit“ von „random people“ – Esther Pilkington und Daniel Ladnar und ihre Kinder, Jo und Lynn. Gemeinsam tauschten sie sich mit anderen Familien-Kunstkollektiven über die Herausforderungen und die Möglichkeiten aus, die entstehen, wenn sich Zusammenleben und künstlerische Zusammenarbeit verbinden.
Die Kokreation von Kindern und Erwachsenen stand ebenfalls im Mittelpunkt der Präsentation von Sibylle Peters, die ausführte, wie im Fundus Theater Kinder auf vielen Ebenen kokreieren, als Initiator*innen, Mitforscher*innen und Theaterberater*innen. Peters schlug vor, dass Performancekunst wie vielleicht keine andere Kunstform eine Gleichberechtigung „beyond the binaries“ ermöglicht, jenseits traditioneller Trennungen nicht nur zwischen Generationen, sondern auch zwischen Geschlechtern und zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Akteur*innen.
Nach der Mittagspause und einer gemeinsamen Erkundung der neuen Spielstätte des Fundus Theaters widmete sich Adele Senior (Dozentin an der Leeds Beckett Universität, Großbritannien) dem Thema von Kindern als Aktivist*innen. Senior schlug vor, dass das Manifest als ein Medium dienen könnte, mit dem sich Kinder aktiv in die ansonsten von Erwachsenen bestimmten Agenden im Kindertheater einschalten könnten. Dieser Vorschlag wurde von Senior, unterstützt von Hannah Kowalski vom Fundus Theater, dann auch praktisch erprobt: die anwesenden Kinder wurden eingeladen, ein Kinder-Manifest über die Zusammenarbeit von Kindern und Erwachsenen im Theater (im Dialog mit dem ASSITEJ Manifest) gemeinsam zu schreiben und später öffentlich vor dem Theater zu verkünden.
Der Vortrag von Maike Gunsilius, Professorin für die Ästhetik des Kinder- und Jugendtheaters an der Universität Hildesheim, untersuchte die Frage, welches Potential und auch welche Probleme partizipative Performance mit Kindern mit sich bringt. Gunsilius unterschied dabei verschiedene Formen von Partizipation: von der einfachen Teilhabe, übers Mitmachen, und über die Zusammenarbeit und Kokreation mit Kindern bis zu ihrem Einbezug in künstlerische Entscheidungen.
Den Vorträgen folgte ein re-enactment zweier einst mit Kindern gemeinsam entwickelten Instruktions-Happenings von Allan Kaprow, „Pose“ und „Purpose“, von 1969, mit denen die Werkstatt-Teilnehmer*innen die Lage des neuen Fundus Theaters in der sie umgebenen Stadt erkundeten; gefolgt von der Proklamation des Kinder-Manifests.
Zum Abschluss führte der Theatermacher Darren O’Donnell rückblickend noch einmal die Themen der ASSITEJ Werkstatt zusammen und erläuterte, wie in seiner Gruppe, der kanadischen Mammalian Diving Reflex, junge Teilnehmer*innen nicht nur künstlerisch, sondern auch in der Organisation und Verwaltung entscheidend beteiligt sind.
„Wir wollen, dass Erwachsene bei unserer Kunst helfen, ohne sie zu verändern“; die Frage, was diese Forderung künstlerisch, praktisch und strukturell für Folgen haben könnte, gab die ASSITEJ-Werkstatt den Teilnehmer*innen mit auf den Weg.
Bericht, Konzeption und Umsetzung der Werkstatt: Sibylle Peters und Heike Roms, mit Maike Gunsilius, Adele Senior, random people, Darren O’Donnell, Gundula Hölty, Hannah Kowalski und dem Fundus Theater | Forschungstheater. Fotos: Margaux Weiß.