von Julia Dina Heße
Als am 10. November die Mitglieder der ASSITEJ Deutschland zur Mitgliederversammlung in Frankfurt eintrafen, saßen die Mitglieder des Executive Committees (EC) der ASSITEJ International bereits in einem Besprechungszimmer im NCCA in Amman. Auch beim dritten Treffen dieses Vorstands außerhalb des virtuellen Raums waren wir zwar wieder nicht allesamt persönlich vor Ort, aber die hybriden Sitzungen sind mittlerweile bestens eingespielt und so gibt es stets auch einen lebhaften Dialog mit denen, die nur in den Zoomkacheln dabei sein können. Den Weg vom Hotel zum Center sind wir an diesem wie an den meisten anderen Tagen gelaufen, vorbei am Nationaltheater von Amman, einer Militäranlage, mehreren Moscheen, einer Feuerwehrstation und einigen großen Mülleimern, aus denen des Öfteren Katzen schauten oder sprangen. Auch Jordanien ist ein Katzenland, habe ich mir sagen lassen und in der ganzen Woche nicht einen einzigen Hund auf der Straße gesehen.
Anlass für das EC-Treffen in Amman war der in den ersten Tagen parallel stattfindende sogenannte Regional Workshop im Rahmen des EU geförderten Projekts BABEL – the Art of Listening. Die ASSITEJ International ist Partner in diesem Projekt, das aus dem Zusammenschluss zahlreicher europäischer und nicht-europäischer Festivals besteht und die regionalen Workshops mit und für Künstler*innen des jeweiligen ausrichtenden Landes und seiner Nachbarländer sind ein Teil dieses großangelegten Projekts.
Dank dieses Workshops hatten wir nicht nur Gelegenheit, die Präsentationen aus den vier verschiedenen Arbeitsgruppen sowohl im Probenzustand als auch bei der Aufführung zu sehen, sondern vor allem mit den Workshopleiter*innen aus Jordanien, Libanon, Ägypten und Palästina ins Gespräch zu kommen. Was ich aus diesem Austausch, der mal in offizieller Runde in unseren Sitzungen, mal beim Essen in der Kantine oder mal am Abend in einer Bar stattfand, mitnehme, ist, dass es in dieser Region sehr ambitioniertes und hochwertiges Theater für junge Menschen gibt, das aber sowohl der gesicherten Förderung als auch der Sichtbarkeit über diese Länder selbst hinaus entbehrt. Dementsprechend groß ist das Interesse der Künstler*innen, sich über Organisationen wie die ASSITEJ besser in die Welt hinein zu vernetzen, um hier zu wirken und inspiriert zu werden. Zugleich wünschen sich alle die Anerkennung ihrer Kunst als einen wertvollen Beitrag zum Leben des Einzelnen und der Gesellschaft. Eine Kollegin aus Amman formuliert es sehr direkt: „Don’t be fooled by what you see here in Amman. / Lasst euch nicht hinters Licht führen von dem Wohlstand und der relativen Offenheit und Freiheit der Hauptstadt.“ Wie in den Nachbarländern kämpfen hier die meisten Theatermachenden mit finanziellen Sorgen, fast alle haben einen anderen Job, was dazu führt, dass das Angebot an Stücken und künstlerischen Veranstaltungen begrenzt ist. Sie wünscht sich und steht ein für etabliertes Kinder- und Jugendtheater, das an jedem Tag der Woche stattfinden und nicht nur in Festivals oder während bestimmter Tour-Daten. Um ihre Performances zu finanzieren, arbeiten sie mit Partnern wie UNICEF oder Oxfam, denn für die meisten Produktionen gibt es keine staatliche Förderung. Diese sei ohnehin nur in Verbindung mit pädagogischer Arbeit zu bekommen, Kunst allein sei nicht förderwürdig, so klingt es zwischen den Zeilen. Da gerade in den ländlichen Gegenden viele Menschen unter der Armutsgrenze leben, sie diesen aber auch Zugang zu kulturellen Angeboten ermöglichen wollen, bietet das NCCA seine Shows gratis an und versucht die notwendigen Gelder über Förderungen zu erhalten. Die wichtigsten Wörter der Berichte der Workshopleiter*innen sind Dezentralisierung, sowie Netzwerke mit anderen Künstler*innen und Kontinuität. Für diese Anliegen haben wir als ASSITEJ noch vor Ort erste Ideen und Angebote erarbeitet und hoffen also, dass dies der Beginn einer langfristigen und bereichernden Zusammenarbeit ist.



Einen Tag unserer Sitzungen verbrachten wir nicht in Amman, sondern durften in dem unfassbar toll gestalteten Safe-Space oder Third Space von Safi Sakrn und MedeArts arbeiten, einer Mischung aus Kulturzentrum, Café und Treffpunkt für Menschen, die hierher sowohl aus der direkten Nachbarschaft in Irbid herkommen, als auch aus der Hauptstadt, die einen solchen Ort für viele entbehrt.
Aus Schweden stießen für zwei Tage auch die Ausrichter*innen des diesjährigen ASSITEJ Artistic Gathering in Helsingborg zu uns: Niclas Malmcrona (Geschäftsführer ASSITEJ Schweden und Projektleiter Bibu), Niklas Borefors (CEO/General Manager Bibu) und Susanna Fredén (Projektmanagerin Bibu) ließen uns an der Auswertung des Festivals u.a. hinsichtlich Programm, Seminar- und Workshopangebot aber auch den Maßnahmen und Zielen hinsichtlich der nachhaltigen Ausrichtung des Festivals teilhaben.
Dieser letzte Punkt ist besonders interessant, weil während der Sitzungswoche in Amman auch entschieden wurde, dass die ASSITEJ International als eine der ersten internationalen Netzwerke der Kulturbranche der EU am neuen SHIFT Programm teilnehmen wird, um unter professioneller Begleitung auf ein offizielles Eco-Label für seine Arbeit hinzuarbeiten.
Julia Dina Heße ist Vorstandsmitglied der ASSITEJ Deutschland und Teil des Executive Committee der ASSITEJ International.