… eine Wanderung
Wir sind losgegangen. SPUREN wurden für uns ausgelegt – von Çığır Özyurt-Güneş wählte Hajusom, Josep Caballero García (für Hajusom) gemeinsam mit Naomi Kelechi Odhiambo (von Formation Now**) wählten Sarah Fartuun Heinze und das PATHOS Theater wählte Ceren Oran. Dann haben wir SPUREN gefunden, die uns zu Mable Preach und zu Ruben Sabel führten. Ein Wegweiser tauchte auf und zeigte in Richtung „Rassismuskritik und Empowerment“. Wir sind losgegangen. Wir haben unsere Wanderung begonnen. Dabei führt der Pfad nicht immer nur über bunte Wiesen. Es kann und wurde beschwerlich: in schlingernden Pfaden bewegten wir uns um große Themen herum: die Spuren des Kolonialismus in München. Warum erinnern Gräber und Denkmäler an jene, die Menschen, Tiere und Güter verschleppten, verkauften und raubten – aber nicht an jene, die Kinder auch, die ihrer Familien und Heimat, ja ihres Lebens entrissen wurden? Unsere Wanderung ging weiter und der Weg wurde holprig: Was sind weiße Privilegien? Wie nutzen wir sie positiv und werden zu Verbündeten von Diskriminierten (White Allyship)? Wir machten auch Pausen auf unserer Wanderung: Wir spielten (zum Beispiel Spiele, Rollen, Instrumente und mehr) mit Sarah Fartuun Heinze. (Zugegeben: Da hatte die Münchner Grundschulklasse noch viel mehr entdeckerischen Spiele-Spaß als wir Erwachsene.) Wir erlebten die bezaubernde Kraft von Musik und Tanz – und die Intimität, die daraus entsteht, wenn wir uns einlassen, mit Ceren Oran und dutzenden Grundschulkindern der Dachauer Straße. Doch die Wanderung musste weitergehen. Denn wir wollen hier einen großen Berg hinauf.
… eine Reise
Eine SPURENSUCHE ist eine Reise. Und der Kern einer jeden Reise ist wohl, dass mensch seine Komfortzone verlässt, gewohnten Gefilden (zumindest zeitweise) Lebewohl sagt, um Neues zu entdecken. Das ist spannend, das ist aufregend. Dabei geht es um Fremdheit und Andersein. Auf einer Reise sind die wichtigsten Gepäckstücke immer: Neugier, Offenheit und Respekt. Immer. Und auf jeder Reise ist das so. Beim Reisen haben wir über unsere Wurzeln nachgedacht, über unsere Herkunft – geografisch, kulturell, familiär, ideologisch, ideell und mehr. Wo kommen wir her? Wo wollen wir hin. Die erste dieser beiden Fragen lässt sich hier an dieser Stelle nicht beantworten. Denn: Die SPURENSUCHE ist divers. Das können wir gut und stolz behaupten. Doch wo wir hinwollen, da (hoffen wir zumindest) haben wir alle ein gemeinsames Ziel. Eine bessere Welt. Eine gleichberechtigte Welt. Eine respektvolle Welt. Eine Welt, die allen zugänglich ist. Und mit allen – meinen wir alle. Daher haben wir die Veranstaltungen unseres Festivals in Deutsche Gebärdensprache übersetzen lassen – und nicht nur die Workshops, Podien und Gesprächsformate, sondern auch die künstlerischen Beiträge, die Performances, den Tanz, den Gesang, das Schauspiel. Alles. Daher hat die Geheime Dramaturgische Gesellschaft, die Teil des Bündnisses PERSPEKTIV:WECHSEL ist, das Festivalzentrum in einem Experiment, einer künstlerischen Hausbesetzung, zugänglich gemacht für blinde Menschen. Unsere Reise hat uns zusammen mit der Schwarzen Kinderbibliothek Bremen auch in fantastische Gebiete geführt und unsere Blicke auf die Vielfalt von Geschichten gelenkt, die neben dem weißen Kanon bestehen und Geschichten von BIPOC-Kindern erzählen, Schwarzen Held*innen und empowernden Menschen mit anderen (aber im Grunde doch auch ähnlichen) Perspektiven als jenen, die wir schon zur Genüge gehört haben.
… eine Grenzüberschreitung
Eine SPURENSUCHE ist eine Grenzüberschreitung – im positiven wie im negativen Sinne. Wir wollten unsere eigenen Grenzen überwinden. Wir wollten sehen: Wo stehen die anderen und wo ist der Raum, in dem wir uns treffen können? Denn wir wollten aufeinander zugehen. Doch wie schnell sind gerade die weißen Positionen, die alles besonders „gut meinen“ jene, die Grenzenüberschreiten und Verletzungen verursachen. Liest du mich weiblich oder männlich? Liest du mich weiß oder was? Es ist egal. Es zählt, wie ich mich positioniere! Und danach solltest du fragen, wenn du mir entgegentrittst. Offenheit – eines der wichtigsten Gepäckstücke auf unserer Reise! Wenn wir uns offen begegnen und neugierig aufeinander sind, dann dürfen wir auch nicht vorschnell über andere urteilen, dürfen sie nicht kategorisieren oder labeln gemäß unserer Erfahrungen, denn diese passen nicht auf andere Menschen. Sag mir, welche Pronomen du benutzt, damit ich nicht raten (nicht urteilen) muss. Sag mir wie du aussiehst, damit ich dich sehe, wie du dich siehst. Ich will fragen „Was brauchst du?“, statt zu sagen „Mach doch mal …“; fragen „Wer bist du?“, statt zu sagen „Ich sehe du bist … oder kommst aus …“. Mikroverletzungen tun auf Dauer höllisch weh. Wir wollen keine Moskitos sein und uns gegenseitig pieksen. Wir wollen Grenzen nicht überschreiten – aber überwinden. Denn hier steht ein Wir und ein Ihr – doch wie positionieren sie sich? Stehen sie oben und unten? Stehen sie sich gegenüber? Oder stehen sie schon Seite an Seite – vielleicht sogar Hand in Hand?
… ein Tanz
Eine SPURENSUCHE ist auch ein Tanz. Wir bewegten uns in Kreisen, mal aufeinander zu, dann wieder voneinander weg. Jede*r von uns hat einen eigenen Stil, hat es anders gelernt, macht andere Schritte, traut sich unterschiedliches zu. Das ist okay. Respekt ist ein wichtiges Gepäckstück auf unserer Reise und es ermöglicht uns, dass wir uns begegnen können auf der Tanzfläche, die dieses Festival ist. Du bist nicht deine Hautfarbe. Ich bin nicht mein Geschlecht. Wir sind nicht unsere Eltern. Doch das ist utopisch gedacht. Und zugleich sollten wir uns unserer Hautfarbe (und den Privilegien, die damit verbunden sind oder eben nicht) bewusst sein. Zugleich sollten wir anerkennen, dass es (soziale) Geschlechter gibt und auch Menschen, die das nicht empfinden, ablehnen und dieses Konzept von Welt nicht leben (wollen). Zugleich müssen wir uns auf unsere Wurzeln besinnen, denn sie beeinflussen nicht nur, wer wir heute sind, von welcher Position aus wir in unser Leben gestartet sind und an welchem Punkt wir heute stehen. Unsere Wurzeln verankern uns auch in der Geschichte, im großen Ganzen und sie geben uns Halt. „Wenn du ganz oben in der Krone des Baumes sitzt, kannst du seine Wurzeln nicht sehen“, heißt es in Mable Preachs Tanz-Performance-Installation – und wir denken immer noch drüber nach. Aber wir erinnern uns auch gern dran, wie wir gemeinsam (!) tanzten.
… ein Fest
Eine SPURENSUCHE ist also auch ein Fest. Ein Bergfest (gestern). Ein Abschiedsfest (heute). Ein Festival. Wir hatten feierliche Momente. Rührende Begegnungen. Wir hatten Kuchen. Wir hörten Reden. Wir haben alte Bekannte wiedergetroffen und neue (auch ganz kleine, pausbäckige, mit Kulleraugen versehene) Menschen in unseren Reihen willkommen geheißen. Wir haben Vieles gefeiert. Auch uns. Zu recht? Das evaluieren wir morgen, am letzten Tag.












Text: Jacqueline Moschkau (SPURENSUCHE-Team)