von Mirrianne Mahn
Nach langem Hin und Her und Abwägen von Gesundheitsrisiken, ob es sich lohnen würde vor Ort zu sein, wenn wahrscheinlich kaum Teilnehmer*innen noch live in Köln teilnehmen würden, fuhr ich dann doch zum ALL IN- Symposium mit dem Untertitel Koproduktionen und Kooperation in den inklusiven Darstellenden Künsten.
Am ersten Abend besuchte ich die Ausstellung Re:Construction – Performative Multimedia Installation, die Teil des Rahmenprogramms bildete. Um ehrlich zu sein, fehlte mir bei den meisten Stücken der Zugang. Ich wusste ja, warum ich hier war. Es ging ja um Inklusion. Deswegen verstand ich schon, dass ein kaputter Rollstuhl beleuchtet und ziemlich mittig in der großen Halle ausgestellt war. Kleine Retroröhrenbildfernseher standen herum, auf denen man einen Fließtext auf Englisch lesen konnte. Er klang in meinem Kopf poetisch. Naja, Kunst halt, denke ich mir, weil ich immer noch nicht so ganz verstehe, worum es gehen soll. Verschiedene Szenen werden an die Wände projiziert. Davor kann man sich auf Stühle setzen und Kopfhörer aufsetzen (ob sie wohl regelmäßig desinfiziert werden?. Ja, das Virus ist unglaublich präsent und ich erwische mich immer wieder dabei, wie ich alles nach einem Hygienekonzept abscanne). Eine der Projektionen erzählt die Geschichte eines Künstlers, dessen Medium die Innereien von Tieren sind. Er drapiert rohes Fleisch zu Skulpturen. Es ist verstörend und eklig und auch irgendwie interessant. Für mich ist es jetzt erstmal genug und ich gehe. Es wartet ja noch eine Performance auf mich.
Der nächste Tag ist für mich von absoluten Aha-Erlebnissen geprägt. Die Keynote von Nickie Wildin, einer Frau, von der ich noch nie gehört habe, die mich absolut in den Bahn zieht mit ihrer Leichtigkeit ihrer unglaublichen Eloquenz. Sie wird via Zoom live in die Halle geschaltet und erzählt uns von ihrer jahrzentelangen Erfahrungen mit inklusivem Theater: sie ist künstlerische Leitung von GRAEAE, einer Theater Company, die seit 40 Jahren in Großbritannien mit etablierten Theatern koproduziert.
Kennst du das, wenn jemand für seine Themen so viel Leidenschaft mitbringt, dass du automatisch mitgerissen wirst? So jemand ist Nickie Wildin und weil ich das hier gar nicht nacherzählen möchte, verlinke ich einfach einen ihrer Talks auf Youtube (ja, ich habe sie danach gestalkt äääh ich meine, recherchiert):
Nickies Keynote folgten bekannte Sprecher*innen aus der Szene: Anne Rieger, Noa Winter, Amy Leach (Projekt Ramps on the Moon) und einer Visual Vernacular-Performance von Eyk Kauly. Eyk Kauly konnte leider nicht persönlich da sein, weil sein Arbeitsgeber ihm die Reise nach Köln wegen Corona nicht gestattet hat: seine Performance kam also per Video zu uns.
Visual Vernacular bedient sich dem Theater angelehnter Kunstformen mit physischen Ausdrucksweisen, bei welchen Geschichten durch den Einsatz von intensiver Körperbewegung, ikonischer Symbole, Gesten und Mimiken erzählt werden. Es enthält Elemente der Poesie und Pantomime, ist jedoch ein eigenständiger und einzigartiger Kunststil, um die gesamte visuelle Komplexität der Welt darzustellen. Visual Vernacular kann Musik übersetzen und Theater für alle zugänglich machen.
Einen Workshop beim mixed-abled Performancekollektiv dorisdean habe ich auch gemacht und mich ein bisschen in Miriam Michel verliebt. Sie ist laut und wütend und unapologetic in ihrem gesamten Auftreten. Ich frage mich, ob mich Menschen auch so wahrnehmen. Sie spricht von den Herausforderungen, mit einem mixed-abled Performancekollektiv in Kooperationen mit Theaterhäusern zu sein – und welche Rückschläge man immer wieder erfährt. Beispielsweise an dieser Tagung sollte ihre Kollegin Patrizia Kubanek teilnehmen: konnte dies aber nicht, weil der Fahrstuhl in ihrem Gebäude kaputt war und sie mit ihrem Rollstuhl in ihrer eigenen Wohnung eingesperrt war.
Patrizia wird digital zu unserem Workshop dazu geschaltet. Vieles berührt und lenkt zum Nachdenken ein.
Die gesamte Tagung findet hybrid statt. In Zeiten von Corona und Zoom bedeutet das, dass man sowohl digital als auch vor Ort teilnehmen konnte. Manche Formate waren für alle, einige Formate gab es nur digital oder auch nur vor Ort: super spannend und wahrscheinlich eine unglaubliche Herausforderung, die die Veranstaltenden jedoch prima meisterten. Respekt dafür.
Und dann kam eine der unglaublichsten Performances, die ich je gesehen habe: Gravity (and other attractions). Da ich es immer noch nicht ganz schaffe, die Erfahrung in Worte zu fassen, werde ich hier einfach die offizielle Beschreibung der Performance zitieren:
„“Gravity (and other attractions)“ ist eine zeitgenössische Tanztheater-Performance, die von einem gehörlosen Tänzer (Tiki) und einer hörenden Tänzerin (Lolo) aufgeführt wird. Eine englischsprachige Audiodeskription, die künstlerisch in die Performance integriert ist, bildet die kreative Grundlage dieses Stückes. Die Audiodeskription ist die Inspiration, die verbale Übersetzung und der gesprochene Text der Performance. Für diejenigen, die keinen Zugang zu einem oder mehreren der künstlerischen Elemente in dieser Performance haben oder sie nicht vollständig wahrnehmen können, schaffen alle anderen künstlerischen Elemente Wahrnehmungsbrücken. Sie alle erzählen die gleiche Geschichte – auf ihre eigene Weise…“
Und so fuhr ich dann zurück nach Frankfurt.
Was habe ich von dieser Tagung mitgenommen? Die Gewissheit, dass die Darstellenden Künste alles sein können und jedem Menschen zugänglich gemacht werden können.